Rechtsgeschichten: Über Gerechtigkeit in der Literatur (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)
stehen und Eheringe verwenden, erfahren wir nach dem Prozess noch ausführlicher.
Inzwischen muss Shylocks Loyalität in der Gerichtsverhandlung zunichte gemacht werden. Aber während der aufmerksame Shylock weiß, dass Grazianos hysterischer Antisemitismus ihm nichts anhaben kann (»Bis du von meinem Schein das Siegel wegschiltst,/Tust du mit Schrein nur deiner Lunge weh« – IV -1, 139-140), ist Porzias Beredsamkeit stärker als sein Schwur und Antonios Schuldschein.Sie gewinnt die vertraglichen Spitzfindigkeiten, um sein Vermögen dann in ein billigkeitsrechtliches Nacherbenverhältnis zu überführen und seine Seele in vollen Beschlag zu nehmen.
Über Porzias Verständnis von Gnade oder über ihre Grausamkeit ist schon viel gesagt worden. Von Ihering hat mich überzeugt, dass ihre Auslegung des Rechts falsch ist (siehe Fn. 6). René Girard hat mich überzeugt, dass Shakespeare sein Publikum zumindest die Ähnlichkeiten entdecken lassen möchte, die zwischen dem Rachedurst der Christen und dem ihres Opfers vorhanden sind. [11] Aber ich bin auch der Auffassung, dass Shakespeare sich ein Publikum wünschte, das immer frohlockt, wenn Porzia Shylock besiegt.
Der vierte Aufzug muss Shylocks Niederlage unabhängig davon liefern, welche berechtigten Zweifel das Publikum auch hinsichtlich seiner Bezwinger hegen mag. Dies trifft nicht deswegen zu, weil Shakespeare Antisemit gewesen wäre. Dass er den ethischen Diskurs der Juden attraktiv fand, ist zu deutlich, und die Würde seines Schurken ist zu groß. Auch ist das Ergebnis des Prozesses nicht von einer der christlichen Tugenden gefordert. Porzia selbst übertreibt, wenn sie die Schrecken des Fremdenrechts anruft, obwohl sie Shylock schon bei den vertraglichen Spitzfindigkeiten geschlagen hat. [12] Sie lässt sich auch von ihrer Neugier über Antonio übermannen und überlässt dem Kaufmann, wie bereits erwähnt, zu Unrecht die Vermittlung hinsichtlich Shylocks endgültigem Schicksal. Ebenfalls wurde bereits erwähnt, dass die anderen venezianischen Figuren systematisch eidbrüchig oder offen rassistisch sind. Shylocks Niederlage wird eher durch das der Komödie Essenzielle notwendig, eben genau der vermittelnden Welt, wie sie vor Gericht von Porzia bekräftigt wird. Ihr Angriff auf Shylock ist buchstäblich ein Angriff auf die unkomödiantischen Eigenschaften, für die Shylock steht. Porzia ist Shakespeares beredtes Sprachrohr, mit dem sie ihr(und sein) Publikum gegen Anflüge von Ernsthaftigkeit und sogar Ironie schützt.
Das Genre der Komödie lechzt nach nicht gehaltenen Versprechen, und nach der saloppen Sprache, die damit einhergeht. Molières Menschenfeind steht so deutlich außerhalb seines komischen Milieus, dass er am Ende des Stücks – ein bisschen wie Shylock – die Bühne auf der Suche nach einem Platz verlassen muss, wo ein Ehrenmann noch nach seinen eigenen Werten leben kann. Auch Shylock muss aus der Welt der Komödie verbannt werden. Verbannt nicht nur, weil er der komödiantische Standardschurke sein kann, sondern vielmehr, weil er alles verkörpert, was sich der Komödie widersetzt. Porzia übernimmt die Aufgabe der Verbannung, auch wenn dies (wie bei Molière) das Stück noch nicht beendet und auch nicht Ausdruck ihrer wirklichen Einstellung ist. Aber zumindest im vierten Aufzug ist sie bereit, die vermittelnden, komödiantischen Qualitäten der Verkleidung, Billigkeit, sanfter Beredtsamkeit, beißenden Witzes, moralischen Relativismus und sogar umgelenkter sexueller Energie zu vertreten.
Wir sollten nämlich nicht vergessen, dass Porzias hauptsächliches Interesse am Prozess die Beendigung der Streitigkeiten und der Vollzug ihrer Ehe mit dem geistesabwesenden Bassanio ist. Auch in diesem Zusammenhang ist Shylocks Niederlage gleichbedeutend mit dem Sieg der Komödie, die nicht ohne vollzogene Ehen enden kann. Im Prozess schafft Porzia es, ihrem Gatten ihr verbales Geschick und ihre persönliche Kraft vorzuführen; die schließliche Beendigung der Verkleidung wird nichts daran ändern, dass Bassanio seine Lektion gelernt hat.
Doch zunächst testet sie ihn. Direkt nach dem Prozess beantwortet sie Bassanios enthusiastischen Wunsch, dem juristischen Genie ein Zeichen seiner Dankbarkeit zu geben, mit der Bitte um seinen gerade erst angepassten Ehering. Unter dem Einfluss von Antonios allgegenwärtiger Vermittlung willigt Bassanio ein. Mittlerweile überträgt Graziano seinen Ehering Nerissa – natürlich auch in Verkleidung.
All dies ergibt nun
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