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Reckless - Lebendige Schatten

Reckless - Lebendige Schatten

Titel: Reckless - Lebendige Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Funke
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hatten, ihn doch lieber bei lebendigem Leibe zu verbrennen, wie sie es früher in Austrien so gern mit seinesgleichen getan hatten?
    Die Eisenplatte hob sich. Es war gerade erst Nachmittag gewesen, als sie sie in den Brunnen geworfen hatten, aber das Stück Himmel, das sichtbar wurde, war dunkler als Nerrons Haut. Er kniff die goldenen Augen zusammen, als das Licht einer Laterne auf ihn hinabfiel.
    »Was für ein Bild!«, hallte eine näselnde Stimme in den Brunnen.
    Arsene Lelou starrte so befriedigt zu ihm herunter wie ein Kind auf ein gefangenes Insekt. Nerron hätte nie gedacht, dass der Anblick des Käfers ihn einmal so glücklich machen würde.
    Seine schmerzenden Finger konnten kaum nach dem Seil greifen, das Lelou über den Brunnenrand warf. Jemand zerrte ihn so unsanft über die Mauer, dass sie ihm die steinerne Haut aufschürfte. Nerron kannte das grobe Gesicht aus dem Haus von Louis’ Vetter. Einer der Küchenknechte. Milchbart. Sogar er selbst nannte sich so. Er warf Nerron auf den Boden, als hätte er sich sein ganzes miserables Leben lang nichts mehr gewünscht, als einen Goyl zwischen die klobigen Finger zu bekommen.
    »Tu ihm weh, aber bring ihn nicht um!« Lelou stieß Nerron die Stiefelspitze in die Seite. Sie roch nach Schuhwachs. Der Käfer verbrachte Stunden damit, sich die geknöpften Stiefel zu polieren. »Was habt ihr geglaubt?«, zischte er. »Dass ich dem Krummen seinen Sohn als Schneewittchen zurückbringe und mich an eurer Stelle hinrichten lasse? So haben wir nicht gewettet! Elfenstaub! Ihr müsst euch schon etwas mehr Mühe geben, wenn ihr Arsene Lelou zum Narren halten wollt!«
    Der Käfer sprach gern in der dritten Person von sich.
    »Nimm ihm den Rucksack ab!«, befahl er.
    Der Knecht drückte Nerron den Stiefel so fest ins Kreuz, dass er glaubte, sein Rückgrat brechen zu hören.
    »Ich hoffe, du hast den Kopf und die Hand noch«, säuselte Lelou, »sonst werf ich dich auf der Stelle zurück in den Brunnen. Wir finden die Armbrust gemeinsam, und solltest du noch einmal versuchen, dich davonzumachen, telegrafiere ich dem Krummen, was du mit seinem Sohn angestellt hast.«
    Milchbart zerrte Nerron auf die Füße. Sie hatten Zuschauer. Halb Champlitte stand trotz der späten Stunde um den Brunnen herum. Nicht nur der Metzger blickte sichtlich enttäuscht, dass das Steingesicht noch lebte. Vermutlich war er der erste Goyl, den sie je leibhaftig zu Gesicht bekommen hatten. Vergiss Albion!, wollte er Kami’en zuschreien. Marschier endlich in Lothringen ein. Nerron wollte sie alle tot sehen – die braven Bürger von Champlitte, die sich einen Spaß daraus gemacht hatten, ihn wie eine Katze zu ersäufen.
    Lelou drückte ihm eine Pistole in die Seite.
    »Na mach schon. Fisch den Wassermann auch heraus!«, fuhr er den Knecht an. Wie beim Teufel und all seinen goldenen Haaren hatte er sie gefunden?
    Die Antwort wartete vor dem Laden des eifrigen Metzgers. Das Gold, das die Kutsche von Louis’ Vetter schmückte, hätte nicht nur den Metzger, sondern ganz Champlitte für Jahre ernährt. Auf dem Bock hockte der Hundemann, der die Jagdmeute des Prinzenvetters abrichtete. Er hatte Nerron schon in Vena mit so stechendem Blick nachgestarrt, als würde er seine Hunde zu gern zur Abwechslung auf einen Goyl hetzen. Zwei hatte er mitgebracht. Bluthunde. Sie hockten neben ihm auf dem Kutschbock und bleckten die Zähne, sobald sie Nerron sahen. Verflucht. Und er hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, ihre Spur zu verwischen! Er hatte den Käfer unterschätzt.
    »Steig ein!« Lelou stieß ihn auf die Kutsche zu.
    Louis lag mit offenem Mund auf einer der goldgepolsterten Bänke und ließ ein grunzendes Schnarchen hören. Lelou rüttelte ihn an der Schulter. »Wacht auf, mein Prinz! Wir haben sie gefunden!«
    Wacht auf? Wohl kaum.
    Aber Louis öffnete tatsächlich die Augen. Sie waren verquollen und blutunterlaufen, aber das Prinzlein war wach.
    Lelou warf Nerron einen triumphierenden Blick zu.
    »Krötenlaich.« Er spitzte die Lippen zu einem selbstzufriedenen Lächeln. »Zwei Abhandlungen aus dem siebzehnten Jahrhundert nennen ihn übereinstimmend als Gegenmittel für Schneewittchenäpfel.«
    Davon hatte Nerron noch nie gehört, aber der Laich schien zu wirken, auch wenn Louis noch beschränkter als üblich dreinblickte.
    »Wie haben die Hunde unsere Spur so schnell gefunden?«
    Lelou musterte ihn mit mitleidiger Verachtung. Dein jämmerlicher Auftritt in dem Brunnen hat die Wirkung der Drei Andenken

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