Red Rabbit: Roman
Moskau außer der Metro so gut wie nichts zu funktionieren schien. Wie gut hier etwas funktionierte, konnte man daran erkennen, wofür es verwendet wurde. Geheimdienstoperationen hatten auch in dieser Hinsicht oberste Priorität, aber nicht, damit die Feinde der Sowjetunion nicht in Erfahrung bringen konnten, worüber das Land verfügte, sondern damit sie nicht in Erfahrung brachten,
worüber es nicht verfügte. Was die Sowjetunion im militärischen Bereich zu bieten hatte, erfuhren Foley und somit die USA durch den KARDINAL. Die Informationen, die von dort kamen, waren grundsätzlich zufrieden stellend – weil sie zeigten, wie wenig Sorgen man sich machen musste. Nein, es waren politische Informationen, die hier am meisten zählten, weil die Russen aufgrund ihres ungeheuer großen Landes und der zahlreichen Bevölkerung immer noch eine Menge Ärger machen konnten, wenn man ihnen nicht früh genug Kontra bot. In Langley machte man sich im Moment wegen des Papstes große Sorgen. Er hatte offensichtlich etwas getan, was für die Russen peinlich werden konnte. Und der Iwan ließ sich auf dem politischen Sektor ebenso ungern blamieren wie amerikanische Politiker – nur dass der Iwan nicht zur Washington Post rannte, um sich zu revanchieren. Ritter und Moore fragten sich sehr besorgt, wie die Sowjets reagieren mochten – und noch sorgenvoller fragten sie sich, wie Juri Andropow reagieren mochte. Ed Foley war noch nicht in der Lage, sich ein genaueres Bild vom KGB-Chef zu machen. Wie die meisten bei der CIA kannte er nur das Gesicht, den Namen und die offenkundigen Leberprobleme dieses Kerls – letztere Information war über Kanäle durchgesickert, die der COS nicht kannte. Vielleicht über die Engländer … wenn man den Engländern trauen konnte, warnte sich Foley selbst. Er musste ihnen trauen, aber aus irgendeinem Grund hatte er kein gutes Gefühl dabei. Na ja, sie hatten wahrscheinlich auch so ihre Zweifel, was die CIA anging. Ganz schön verrückt, dieses Spiel. Ed überflog die erste Seite der Prawda . Nichts Weltbewegendes, aber der Artikel über den Warschauer Pakt war nicht uninteressant. Man machte sich wegen der NATO immer noch Sorgen. Vielleicht hatte man in Wirklichkeit Angst, deutsche Truppen könnten wieder nach Osten vorrücken. Paranoid genug waren sie jedenfalls… wahrscheinlich war Paranoia eine russische Erfindung. Vielleicht hatte Freud sie auf einer Reise hierher entdeckt, dachte Foley und blickte auf, um nach einem Augenpaar Ausschau zu halten, das sich womöglich auf ihn geheftet hatte … nein, niemand, wie es schien. Konnte es sein, dass der KGB ihn nicht beschattete? Na ja, durchaus möglich, aber nicht wahrscheinlich. Wenn sie jemanden – oder wohl eher: ein Team – auf ihn angesetzt hatten, wäre die Beschattung absolut professionell. Aber warum einen Presseattaché von den besten Leuten beschatten
lassen? Oder hatte er sich womöglich einer Lockvogeloperation zu erkennen gegeben, indem er eine grüne Krawatte trug? Woran merkte man so was?
Wenn er tatsächlich aufgeflogen war, beträfe das auch seine Frau, und dann hätte das Ganze zwei viel versprechende CIA-Karrieren empfindlich gebremst. Er und Mary Pat waren Bob Ritters Lieblinge, die Universitätsabsolventen, das junge Profiteam in Langley, und solch einen Ruf galt es sowohl sorgsam zu schützen als auch weiter auszubauen. Der Präsident der Vereinigten Staaten würde ihre »Ausbeute« persönlich lesen und möglicherweise Entscheidungen fällen, die auf den von ihnen gelieferten Informationen basierten. Wichtige Entscheidungen, die sich auf die Politik ihres Landes auswirken konnten. Über die damit verbundene Verantwortung wollte Ed lieber gar nicht erst nachdenken. Es konnte einen in den Wahnsinn treiben oder zumindest übervorsichtig machen, so vorsichtig, dass man überhaupt nichts mehr zustande brachte. Nein, wenn man für den Geheimdienst tätig war, bestand die größte Schwierigkeit darin, die Trennlinie zwischen Umsicht und Effektivität richtig zu ziehen. Neigte man zu sehr zur einen Seite, bekam man nie etwas Brauchbares zustande. Neigte man zu sehr zur anderen, flog man mitsamt seinen informellen Mitarbeitern auf, und in der Sowjetunion bedeutete das praktisch den sicheren Tod von Menschen, für deren Leben man die Verantwortung trug. Dieses Dilemma war durchaus dazu angetan, einen Mann beim Alkohol Zuflucht suchen zu lassen.
Die U-Bahn hielt an seiner Station, und Ed stieg aus und fuhr mit dem Aufzug nach
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