Red Rabbit: Roman
aus Washington geschickt wurde. In Moskau zu leben war für einen amerikanischen
Staatsangehörigen etwa so, wie auf eine einsame Insel verschlagen zu werden. Wenigstens hatte man in der Botschaft eine Satellitenschüssel, mit der sich CNN und andere Programme empfangen ließen. Das entschädigte für so manches.
Das Frühstück verlief wie immer. Der kleine Eddie stand auf Frosted Flakes – die Milch kam aus Finnland, weil seine Mutter dem einheimischen Lebensmittelladen nicht traute und der nur den Ausländern vorbehaltene Laden für die Bewohner der Anlage überdies sehr günstig lag. Infolge der Wanzen in den Wänden sprachen Ed und Mary Pat beim Frühstück nicht viel. Außer per Handzeichen unterhielten sie sich zu Hause nie über wichtige Dinge – und schon gar nicht im Beisein ihres Sohnes, weil kleine Kinder nicht in der Lage waren, Geheimnisse, gleich welcher Art, für sich zu behalten. Jedenfalls waren die Observierungsteams des KGB mittlerweile ziemlich gelangweilt von den Foleys, zumal diese sich auch redlich Mühe gaben, als normale Amerikaner durchzugehen, indem sie ihrem Verhalten ein gewisses Maß an Unberechenbarkeit zugrunde legten. Dieses Maß war jedoch sehr genau dosiert. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Mit Hilfe eines zahmen Überläufers aus dem Zweiten Hauptdirektorat des KGB hatten sie schließlich in Langley alles gründlich und gewissenhaft geplant.
Mary Pat hatte ihrem Mann die Kleider auf dem Bett bereitgelegt, einschließlich der grünen Krawatte und seines braunen Anzugs. Wie dem Präsidenten stand auch Ed Braun sehr gut, fand sie. Ed würde wieder einen Regenmantel tragen, und er wollte ihn nicht zuknöpfen, falls ihm eine weitere Nachricht zugesteckt werden sollte. Darüber hinaus waren alle seine Sinne den ganzen Tag über garantiert in höchster Alarmbereitschaft.
»Was hast du heute vor?«, fragte er Mary Pat im Wohnzimmer.
»Das Übliche. Nach dem Mittagessen treffe ich mich vielleicht mit Penny.«
»Ach ja? Dann grüß sie schön von mir. Vielleicht können wir ja gegen Ende der Woche mal zusammen zu Abend essen.«
»Gute Idee«, sagte seine Frau. »Vielleicht hat sie ja Lust, mir die Rugbyregeln zu erklären.«
»Es ist wie Football, Schatz, nur dass die Regeln noch verrückter sind«, erklärte der COS seiner Frau. »So, dann werde ich mal losziehen und die Journalisten bei Laune halten.«
»Genau!« Mary Pat lachte und verdrehte die Augen. »Dieser Typ vom Boston Globe ist vielleicht ein Vollidiot!«
Es war ein schöner Morgen – mit einem Anflug von Frische in der Luft, die den Herbst ankündigte. Foley ging in Richtung U-Bahn los und winkte der Wache am Tor zu. Der Mann, der die Frühschicht hatte, lächelte sogar ab und zu. Er hatte eindeutig schon zu viel Kontakt mit Ausländern gehabt. Er trug die Uniform der Moskauer Miliz – der Stadtpolizei –, aber Foley fand, er sah etwas zu intelligent für sie aus. Die Moskowiter hielten nicht viel von ihrer Polizei, weshalb diese Behörde nicht gerade die hellsten Köpfe anzog.
Die paar hundert Meter zur Metro-Station waren rasch zurückgelegt. Das Überqueren einer Straße war hier relativ ungefährlich – wesentlich ungefährlicher jedenfalls als in New York –, denn es gab nur wenige Privatautos. Das war gut so, denn im Vergleich zu den russischen Autofahrern waren die italienischen geradezu korrekt und rücksichtsvoll. Ihrem Verkehrsverhalten nach zu schließen, mussten die Kerle, die die allgegenwärtigen Müllautos fuhren, durch die Bank ehemalige Panzerfahrer gewesen sein. Am Zeitungsstand kaufte sich Foley eine Prawda , dann fuhr er im Aufzug zum Bahnsteig hinunter. Als ein Mann mit streng geregeltem Tagesablauf traf er jeden Morgen um genau dieselbe Zeit an der Haltestelle ein. Um sich zu vergewissern, sah er kurz zu der von der Decke hängenden Uhr hoch. Die U-Bahn ging nach einem absolut genauen Fahrplan, und er stieg Punkt 7:43 Uhr ein. Er hatte sich nicht umgeblickt. Er war schon zu lange in Moskau, um wie ein frisch eingetroffener Tourist den Hals zu recken, und das, nahm er an, würde seinen KGB-Beschatter in dem Glauben bestärken, sein amerikanisches Observationsziel sei in etwa so interessant wie die kasha , die es in Russland immer zu dem fürchterlichen einheimischen Frühstückskaffee gab. Qualitätskontrolle war etwas, was sich die Sowjets für ihre Atomwaffen und das Raumfahrtprogramm vorbehielten. Obwohl Foley, was Letzteres anging, mittlerweile so seine Zweifel hatte, da in
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