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Red Rabbit: Roman

Red Rabbit: Roman

Titel: Red Rabbit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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Schreckens.
    Leonid Iljitsch Breschnew traf als Letzter ein. Er ging wie der alte Bauer, der er war, und die Haut hing ihm schlaff vom einstmals markanten Gesicht. Er wurde bald achtzig, ein Alter, das er, seinem Aussehen nach zu schließen, vielleicht erreichen, aber nicht überschreiten würde. Das hatte sowohl positive als auch negative Seiten. Es ließ sich nicht sagen, welche Gedanken durch die Windungen seines verkalkten Gehirns spukten. Er war einmal ein Mann von großer persönlicher Macht gewesen – Andropow konnte sich noch gut daran erinnern. Breschnew war ein dynamischer Mann, der in tiefen Wäldern Elchen und sogar Bären nachgestellt hatte. Aber diese Zeiten waren vorbei. Er hatte schon seit Jahren nichts mehr geschossen – außer vielleicht Menschen durch zweite oder dritte Hand. Doch dieser Umstand verlieh Leonid Iljitsch nicht etwa die Milde des Alters. Weit gefehlt. Die braunen Augen waren immer noch verschlagen, hielten immer noch Ausschau nach Verrat und glaubten manchmal welchen zu entdecken, wo es gar keinen gab. Unter Stalin war das häufig einem Todesurteil gleichgekommen. Aber auch das hatte sich geändert. Jetzt wurde man nur demontiert, seiner Macht beraubt und auf irgendeinen Posten in der Provinz versetzt, wo man vor Langeweile starb.
    »Guten Tag, Genossen«, sagte der Generalsekretär so freundlich, wie es seine brummige Stimme zuließ.
    Wenigstens gab es keine offensichtliche Speichelleckerei mehr, mit der kommunistische Höflinge untereinander um die Gunst des marxistischen Kaisers buhlten. Mit derlei Unsinn konnte man eine halbe Sitzung vertun, und Andropow hatte wichtige Dinge zu besprechen.
    Leonid Iljitsch war bereits vorinformiert, und nachdem er einen Schluck von seinem Tee genommen hatte, wandte sich der Generalsekretär dem KGB-Chef zu. »Juri Wladimirowitsch, haben Sie etwas mit uns zu bereden?«
    »Ja, danke, Genosse Generalsekretär. Genossen«, begann er, »es hat sich etwas ergeben, womit wir uns unbedingt befassen sollten.«
Er winkte Oberst Roschdestwenski zu, der daraufhin rasch um den Tisch ging und Kopien des Warschauer Briefs verteilte.
    »Was Sie hier sehen, ist ein Brief, den der Papst in Rom letzte Woche nach Warschau geschickt hat.« Jeder Anwesende hielt jetzt eine Fotokopie des Originals in Händen – einige von ihnen sprachen Polnisch – sowie eine Übersetzung ins Russische, komplett mit Fußnoten. »Ich finde, dabei handelt es sich potenziell um eine politische Bedrohung.«
    »Ich habe diesen Brief bereits gesehen«, erklärte Alexandrow von seinem abgelegenen »Kandidaten«-Platz aus. Aus Achtung vor der höheren Position des todkranken Michail Suslow war dessen Sitz zu Breschnews Linken (und neben Andropow) leer geblieben, obwohl an seinem Platz die gleiche Anzahl von Papieren lag wie auf jedem anderen – vielleicht hatte Suslow sie auf dem Totenbett gelesen und würde von seiner Wartenische in der Kremlmauer ein letztes Mal zuschlagen.
    »Das ist ja unerhört«, sagte Marschall Ustinow sofort. Er war ebenfalls schon weit über siebzig. »Für wen hält sich dieser Pfaffe eigentlich?«
    »Nun, er ist Pole«, rief Andropow seinen Kollegen in Erinnerung, »und er fühlt sich gewissermaßen verpflichtet, seinen Landsleuten politischen Schutz zukommen zu lassen.«
    »Schutz wovor?«, wollte der Innenminister wissen. »Die Bedrohung Polens geht von deren eigenen Konterrevolutionären aus.«
    »Und die polnische Regierung hat nicht den nötigen Mumm, um da mal richtig aufzuräumen. Ich habe Ihnen schon letztes Jahr gesagt, wir müssen da einmarschieren«, erklärte der Erste Sekretär der Moskauer Partei.
    »Und wenn sie sich unserem Einschreiten widersetzen?«, fragte der Landwirtschaftsminister von seinem Platz am anderen Ende des Tisches aus.
    »Dessen können Sie sich sogar sicher sein«, erklärte der Außenminister. »Zumindest werden sie politischen Widerstand leisten.«
    »Dimitri Fedorowitsch?« Alexandrow übergab das Wort an Marschall Ustinow, der in seiner vollen Uniform einschließlich eines halben Quadratmeters Auszeichnungen und zweier Heldder-Sowjetunion-Goldsterne dasaß. Er hatte sie für politischen Mut verliehen bekommen, nicht für Tapferkeit im Feld, aber er war
einer der intelligentesten Männer im Raum. Er hatte sich seine Sporen im Großen Vaterländischen Krieg als Volkskommissar für Rüstung verdient – und weil er geholfen hatte, die UdSSR ins Raumfahrtzeitalter zu führen. Seine Meinung war vorhersehbar, aber wegen

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