Red Rabbit: Roman
ihrer Weisheit geschätzt.
»Die Frage, Genossen, ist doch, ob sich die Polen mit Waffengewalt widersetzen würden. Das wäre zwar militärisch keine Bedrohung für uns, aber politisch außerordentlich peinlich, sowohl hierzulande wie im Ausland. Mit anderen Worten, die Polen könnten die Rote Armee auf dem Schlachtfeld zwar nicht aufhalten, aber sollten sie es auch nur versuchen, zöge dies massive politische Konsequenzen nach sich. Aus diesem Grund habe ich mich im vergangenen Jahr für unsere Entscheidung eingesetzt, politischen Druck auf Warschau auszuüben – was uns mit Erfolg gelungen ist, wie Sie sich bestimmt erinnern können.« Mit seinen vierundsiebzig Jahren hatte Dimitri Fedorowitsch gelernt, vorsichtig zu sein, zumindest auf weltpolitischer Ebene. Seine unausgesprochene Sorge galt der Wirkung, die ein solcher Widerstand auf die Vereinigten Staaten von Amerika haben könnte, die ihre Nase mit Vorliebe in Dinge steckten, die sie nichts angingen.
»Nun, das könnte in Polen zusätzliche politische Unruhen entfachen – sagen zumindest meine Berater«, erklärte Andropow seinen Kollegen, worauf es etwas frostig im Saal wurde.
»Wie ernst ist diese Sache, Juri Wladimirowitsch? Vielmehr – wie ernst könnte sie werden?« Es war das erste Mal, dass Breschnew etwas sagte – und die buschigen Augenbrauen kletterten dabei nach oben.
»Wegen konterrevolutionärer Elemente in der Gesellschaft bleibt Polen weiterhin unstabil. Vor allem unter den Arbeitern herrscht Unruhe. Wir haben unsere Quellen innerhalb dieses Solidarnosc-Komplotts, und sie sagen, dass der Topf weiterhin siedet. Das Problem mit dem Papst ist, dass das polnische Volk eine Leitfigur bekommen wird, wenn er, wie er es angedroht hat, nach Polen zurückkehrt. Und wenn sich dieser Bewegung genügend Menschen anschließen, könnte das Land durchaus versuchen, seine Verfassung zu ändern«, gab der KGB-Chef vorsichtig zu bedenken.
»So weit darf es auf keinen Fall kommen«, bemerkte Leonid Iljitsch mit ruhiger Stimme. »Wenn Polen fällt, fällt Ostdeutschland
…« und dann der ganze Warschauer Pakt, womit die Sowjetunion ohne ihre Pufferzone zum Westen dastünde. Die NATO, ohnehin schon stark, konnte noch stärker werden, denn die neuen amerikanischen Aufrüstungsmaßnahmen zeigten bereits Wirkung. Über dieses leidige Thema waren sie bereits informiert worden. Die ersten neuen Panzer wurden an Fronteinheiten ausgeliefert, damit sie notfalls in die Bundesrepublik Deutschland transportiert werden konnten. Und das Gleiche galt für die neuen Flugzeuge. Noch besorgniserregender war jedoch das deutlich erhöhte Trainingsprogramm der amerikanischen Soldaten. Es war, als bereiteten sie sich tatsächlich auf einen Schlag gegen den Osten vor.
Der Fall Polens und Ostdeutschlands hieße, dass ein Vorstoß auf sowjetisches Gebiet um mehr als tausend Kilometer verkürzt wurde, und es gab an diesem Tisch nicht einen Mann, der sich nicht an das letzte Mal erinnerte, als die Deutschen in die Sowjetunion eingefallen waren. Ungeachtet aller Beteuerungen, die NATO sei ein Verteidigungsbündnis, dessen einziger Zweck darin bestehe, die Rote Armee daran zu hindern, auf den Champs-Élysées eine Parade abzuhalten, waren die NATO und alle anderen amerikanischen Bündnisse für Moskau wie eine riesige Schlinge, nur dazu bestimmt, sich um ihrer aller Hälse zusammenzuziehen. Das hatten die Männer schon bei einer früheren Gelegenheit in aller Ausführlichkeit besprochen. Und im Moment konnten sie bei all ihren Problemen nicht auch noch politische Instabilität gebrauchen. Am meisten – wenn auch nicht in dem Maße wie Suslow und sein ideologischer Erbe Alexandrow – fürchteten kommunistische Machthaber, dass ihr Volk vom wahren Glauben abfallen könnte, der doch der Garant für ihre mit vielen Annehmlichkeiten verbundene persönliche Macht war. Sie alle waren durch die Bauernrevolte, die zum Sturz der Romanow-Dynastie geführt hatte, sozusagen auf Umwegen an die Macht gekommen – jedenfalls redeten sie sich das entgegen allen anderslautenden Meinungen der Historiker ein – und sie gaben sich keinen Illusionen hin, welche Folgen eine Revolte für sie hätte. Breschnew rutschte auf seinem Stuhl herum. »Dann ist dieser polnische Geistliche also eine Bedrohung.«
»Ja, Genossen, das ist er«, bestätigte Andropow. »Sein Brief ist ein konkreter Schlag gegen die politische Stabilität Polens und somit des gesamten Warschauer Pakts. Die katholische Kirche
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