Red Rabbit: Roman
Tür wartete Eddie Beaverton. Die Kinder wurden zum Abschied umarmt und geküsst, wie es sich gehörte, dann machten sich die Eltern auf den Weg zur Arbeit. Ryan war dieser Ablauf ein Gräuel. Wenn er Cathy doch nur dazu bewegen könnte, eine Wohnung in London zu kaufen – das hätte den Arbeitstag um gut zwei Stunden verkürzt! Aber nein, Cathy wollte ein Haus mit Garten, damit die Kinder draußen spielen konnten. Dabei würden sie beide die Sonne bald nur noch sehen, wenn sie bei der Arbeit waren.
Zehn Minuten später saßen sie in ihrem Erster-Klasse-Abteil und fuhren Richtung Nordwesten gen London, Cathy wie immer in eine medizinische Fachzeitschrift und Jack in seinen Daily Telegraph vertieft. Er überflog gerade einen Artikel über Polen und stellte fest, dass der Autor außergewöhnlich gut informiert war. Die Artikel in den englischen Zeitungen waren in der Regel längst nicht so weitschweifig wie die in der Washington Post , was Jack ausnahmsweise bedauerte. Dieser Typ verfügte tatsächlich über gute Informationen, oder er war ein ziemlich guter Analyst. Die polnische Regierung steckte in einer Zwickmühle, aus der es keinen offensichtlichen Ausweg gab, und Gerüchten zufolge, las Ryan, machte sich der Papst ernsthaft Gedanken um das Wohlergehen seines Heimatlandes und seines Volkes. Das, schrieb der Reporter, war einigen Leuten sicherlich ein Dorn im Auge.
Was tatsächlich der Wahrheit entsprach, dachte Jack. Die wirklich schlechte Nachricht lautete, dass diese Information nun an die Öffentlichkeit gelangt war. Wer hatte hier etwas durchsickern lassen? Er kannte den Namen des Reporters. Er war Experte für – hauptsächlich europäische – Außenpolitik. Also, wem war es zu
verdanken, dass diese Information durchgesickert war? Jemandem im Außenministerium? Die Leute dort waren ausnahmslos sehr intelligent, aber wie ihre amerikanischen Kollegen in Foggy Bottom redeten auch sie manchmal, ohne vorher zu denken. Und es konnte hier leicht bei einem Bier in einem der unzähligen gemütlichen Pubs geschehen sein, dass einem Regierungsangestellten einem Reporter gegenüber einfach etwas herausgerutscht war oder er diesem hatte zeigen wollen, wie clever er war. Würde deswegen ein Kopf rollen? fragte sich Jack. Darüber musste er unbedingt mit Simon sprechen.
Oder war womöglich Simon derjenige gewesen, der diese Information hatte durchsickern lassen? Er stand in der Hierarchie weit genug oben, und sein Chef mochte ihn. Vielleicht hatte ihm Basil sogar die Erlaubnis dazu gegeben. Oder vielleicht kannten beide einen Typen in Whitehall und hatten ihm freie Hand gelassen, sich bei einem Bier mit einem Reporter von der Fleet Street zu unterhalten.
… oder der Reporter war schlichtweg intelligent genug gewesen, zwei und zwei zusammenzuzählen. Kluge Jungs gab es nicht nur im Century House. In der Regel gingen talentierte Leute dorthin, wo gutes Geld winkte, denn wie jedermann wünschten sich auch die Gescheiten große Häuser und tolle Urlaubsreisen. Jene, die einen Regierungsjob annahmen, wussten, dass sie von ihrem Gehalt gut, wenn auch nicht im Luxus würden leben können – doch die Besten unter ihnen wussten auch, dass sie im Leben eine Mission zu erfüllen hatten. Deshalb gab es sehr gute Leute, die in Uniformen steckten oder Waffen und Abzeichen trugen. Er selbst hatte als Börsenmakler Erfolg gehabt, doch im Endeffekt war diese Arbeit unbefriedigend gewesen. Also waren nicht alle talentierten Leute hinter Geld her. Manche suchten lieber anderweitig Erfüllung.
Tust du das auch, Jack? fragte er sich, als der Zug in Victoria Station einfuhr.
»Welche tief schürfenden Gedanken hegst du denn heute morgen?« , fragte seine Frau.
»Wie bitte?«, fragte Jack irritiert.
»Ich kenne diesen Blick, mein Schatz«, erwiderte sie. »Du grübelst.«
»Cathy, bist du Augenärztin oder Psychiaterin?«
»Bei dir bin ich Psychiaterin«, entgegnete sie mit einem schelmischen Lächeln.
Jack erhob sich und zog die Abteiltür auf. »Okay, meine Liebe. Auf dich warten Augen, die behandelt, und auf mich Geheimnisse, die aufgedeckt werden wollen.« Er scheuchte seine Frau aus dem Zug. »Und, hast du was Neues aus deinem Quacksalber-Blättchen gelernt?«
»Wenn ja, würdest du es sowieso nicht verstehen.«
»Wahrscheinlich nicht«, gab Jack zu und eilte zum Taxistand hinüber. Statt eines der normalen schwarzen Taxis wählten sie diesmal ein leuchtend blaues.
»Hammersmith Hospital«, sagte Jack zu dem Fahrer,
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