Red Rabbit: Roman
gekauft hätte. Sie kehrte noch einmal in die Abteilung mit den Pelzen zurück – die Pelze hier würden sogar in New York recht gut ankommen, wenngleich sie mit denen von Fendi nicht ganz mithalten konnten, da ihnen der gewisse Schick fehlte. In Russland gab es eben nicht genug italienische Designer. Aber die Qualität der Pelze, der Tierhäute selbst, war nicht schlecht. Die Sowjets wussten nur nicht, wie man sie ordentlich verarbeitete. Das war wirklich schade, dachte sie. Das Traurigste an der Sowjetunion war, dass die Regierung dieses tristen Landes seine Bewohner mit aller Macht daran hinderte, etwas zu leisten. Hier gab es so wenig Originalität! Das Beste, was man kaufen konnte, waren alte Kunstwerke aus der Zeit vor der Revolution, in der Regel kleine, fast immer religiöse Gegenstände, die auf den improvisierten Flohmärkten angeboten wurden, wenn eine Familie dringend Geld benötigte. MP hatte bereits etliche Stücke erworben, jedoch immer ein schlechtes Gewissen dabei, weil sie sich wie eine Diebin vorkam. Um ihr Gewissen wenigstens etwas zu beruhigen, feilschte sie nie, sondern zahlte immer
den verlangten Preis, statt ihn herunterzuhandeln. In ihren Augen wäre Feilschen einem bewaffneten Raubüberfall gleichgekommen. Dabei war ihre eigentliche Mission in Moskau doch – und daran glaubte sie fest –, den Menschen zu helfen, obwohl diese das wohl kaum verstehen oder gutheißen würden. Aber meistens gefiel den Moskowitern ihr Lächeln und ihre Freundlichkeit. Und mit Sicherheit gefielen ihnen die blau gestreiften Rubelzertifikate, mit denen sie bezahlte – das war Bargeld, das ihnen Zugang zu Luxusgütern verschaffte oder das zu einem Wechselkurs von drei oder vier zu eins umgetauscht werden konnte, was fast genauso gut war.
Mary Pat schlenderte etwa eine halbe Stunde lang umher, bevor sie ihr Zielobjekt in der Abteilung für Kinderbekleidung entdeckte. Langsam ging sie in seine Richtung, wobei sie hin und wieder einige Kleidungsstücke in die Hand nahm und begutachtete, bevor sie hinter ihm stehen blieb.
»Guten Abend, Oleg Iwan’tsch«, sagte sie ruhig und nahm einen für ein drei- oder vierjähriges Mädchen gedachten Parka in die Hand.
»Mary, nicht wahr?«
»Richtig. Sagen Sie, haben Sie noch einige Tage Urlaub gut?«
»Ja. Ganze zwei Wochen sogar.«
»Und Ihre Frau mag, wie Sie erzählten, klassische Musik?«
»Ja, das stimmt.«
»Es gibt einen hervorragenden Dirigenten, der Jozsef Rozsa heißt und am Sonntagabend in der Staatsoper in Budapest sein Einstandskonzert geben wird. Das beste Hotel in Budapest wäre für Sie das Astoria. Es liegt nicht weit vom Bahnhof entfernt, und es ist bei Gästen aus der Sowjetunion beliebt. Erzählen Sie all Ihren Freunden, was Sie vorhaben. Fragen Sie sie, was Sie ihnen von dort mitbringen sollen. Tun Sie all das, was ein Sowjetbürger angesichts einer solchen Reise normalerweise tut. Wir kümmern uns um den Rest«, versicherte sie ihm.
»Und meine Familie?«, erinnerte Zaitzew sie. »Sie bringen uns doch alle raus, oder?«
»Natürlich, Oleg. Ihre kleine zaichik wird in Amerika viele wunderbare Dinge bestaunen können, und die Winter dort sind nicht so streng wie hier«, fügte Mary Pat hinzu.
»Uns Russen gefällt unser Winter«, erwiderte Zaitzew in einem Anflug von Nationalstolz.
»Nun, dann können Sie auch in eine Gegend ziehen, in der es so kalt ist wie in Moskau. Und wenn Sie im Februar doch ein wärmeres Klima vorziehen, fahren oder fliegen Sie nach Florida und sonnen sich an einem Strand.«
»Sind Sie Reisefachfrau, Mary?«, fragte Rabbit.
»Für Sie, Oleg, bin ich genau das. Haben Sie sich sicher gefühlt, als Sie meinem Mann in der U-Bahn die Informationen übergaben?«
»Ja.«
Das solltest du aber nicht, dachte Mary Pat. »Haben Sie eine besondere Krawatte?«
»Eine blaue mit roten Streifen.«
»Sehr gut. Tragen Sie die zwei Tage vor Ihrer Abreise nach Budapest. Rempeln Sie meinen Mann in der Bahn an, und entschuldigen Sie sich, dann wissen wir Bescheid. Also nochmal: Zwei Tage, bevor Sie Moskau verlassen, tragen Sie Ihre rot-blaue Krawatte und rempeln meinen Mann in der U-Bahn an«, wiederholte sie. Gerade bei solchen Kleinigkeiten musste man aufpassen. Leute machten bei den einfachsten Dingen oft die unmöglichsten Fehler, selbst wenn – nein, vor allem wenn – ihr Leben auf dem Spiel stand. Deshalb hielt sie es immer so einfach wie möglich. Nur eine Sache, an die man sich erinnern musste. Nur eine Sache, die man tun
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