Red Rabbit: Roman
Dokumente brauchen wir?«
»Wir haben ein ausführliches Dossier über Alexandrow. Ich habe es bereits angefordert.«
Der heutige Tag würde also dem kreativen Schreiben gewidmet werden, dachte Ryan. Es wäre interessanter gewesen, sich mit der sowjetischen Wirtschaft zu beschäftigen, doch stattdessen würde er beim Verfassen eines Nachrufs helfen, in den sie eine scharfsinnige Analyse der politischen Zukunft der Sowjetunion integrieren mussten. Und das im Andenken eines Mannes, den niemand gemocht hatte und der vermutlich sowieso ohne ein politisches Vermächtnis gestorben war.
Die Vorarbeit war sogar noch leichter gewesen als erhofft. Haydock hatte damit gerechnet, dass die Russen sich geschmeichelt fühlen würden, und tatsächlich war nicht mehr als ein Anruf bei seinem Kontakt im Transportministerium nötig gewesen. Um zehn Uhr am nächsten Morgen würden er, Paul Matthews und ein Fotograf der Times zum Kiew-Bahnhof fahren, um dort für ihre Story zu recherchieren. Ihr Thema: die staatliche sowjetische Eisenbahn und wie diese im Vergleich zur britischen Eisenbahn geführt wurde – die, wie die meisten Engländer meinten, vor allem im oberen Management einiger Veränderung bedurfte.
Matthews hegte vermutlich den Verdacht, Haydock gehöre dem MI-6 an, hatte aber nie nachgehakt, da ihm der Agent oft genug Informationen für Storys zugeschanzt hatte. Das war die übliche Taktik, mit der man dafür sorgte, dass einem Journalisten gewogen waren – eine Taktik, die sogar an der SIS-Akademie gelehrt wurde –, obwohl man dies der amerikanischen CIA gegenüber offiziell leugnete. Der US-Kongress verabschiedete die seltsamsten und absurdesten Gesetze, um seine Geheimdienste handlungsunfähig zu machen, doch war Haydock sicher, dass die Agenten im Einsatz diese Gesetze täglich brachen. Er selbst hatte schon einige der viel weniger strengen Regeln seines eigenen Geheimdienstes gebrochen. Und war natürlich nie dabei erwischt worden. Genauso wenig, wie er in Moskau von den dortigen Agenten erwischt worden war …
»Hi, Tony.« Ed Foley begrüßte den Moskauer Korrespondenten der New York Times mit einem Handschlag. Er fragte sich, ob Prince überhaupt wusste, wie sehr er ihn verachtete. Aber das beruhte vermutlich auf Gegenseitigkeit. »Was liegt heute an?«
»Ich brauche einen offiziellen Kommentar des Botschafters zum Tod von Michail Suslow.«
Foley lachte. »Wie wär’s damit, dass er froh ist über den Tod des alten Idioten?«
»Darf ich Sie zitieren?« Prince hielt seinen Notizblock hoch.
Zeit, den Rückwärtsgang einzulegen. »Besser nicht. Ich habe zu diesem Thema noch keine Anweisungen erhalten, Tony, und der Chef ist momentan mit anderen Dingen beschäftigt. Ich fürchte, er wird erst am Nachmittag einen Termin für Sie einräumen können.«
»Aber ich brauche jetzt sofort etwas, Ed.«
»›Michail Suslow war ein angesehenes Mitglied des Politbüros und eine treibende ideologische Kraft in diesem Land, und wir bedauern sein verfrühtes Ableben.‹ Reicht das?«
»Das, was Sie zuerst sagten, war besser und viel ehrlicher«, stellte der Times -Korrespondent fest.
»Haben Sie ihn je getroffen?«
Prince nickte. »Mehrmals, bevor und nachdem die Ärzte vom Johns Hopkins seine Augen behandelt haben …«
Foley spielte den Dummen. »Also hat er sich tatsächlich von ihnen behandeln lassen? Ich meine, ich habe einiges darüber gehört, aber nie etwas Konkretes.«
Prince nickte wieder. »Es stimmt. Seine Brillengläser waren so dick wie Flaschenböden. Höflicher Mann, dachte ich. Gute Manieren und so, aber der harte Kern schimmerte doch durch. Ich schätze, er war so etwas wie der Hohepriester des Kommunismus.«
»Oh, Sie meinen, er hat ein Gelübde über Armut, Keuschheit und Gehorsam abgelegt?«
»Wissen Sie, er hatte tatsächlich etwas von einem Ästheten, als wäre er wirklich eine Art Priester«, sagte Prince nach kurzem Nachdenken.
»Meinen Sie?«
»Ja, er schien beinahe ein wenig von einer anderen Welt zu sein, als könne er Dinge sehen, die wir nicht sehen können, wie ein Priester
oder so. Und er glaubte fest an den Kommunismus. Hat sich auch nicht dafür entschuldigt.«
»Stalinist?«, fragte Foley.
»Nein, aber vor dreißig Jahren wäre er sicher einer gewesen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er einen Mordauftrag ohne zu zögern unterschrieben hätte. Das hätte ihn nicht um den Schlaf gebracht – nicht unseren Mischka.«
»Wer wird sein Nachfolger?«
»Ich bin mir
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