Red Rabbit: Roman
Tragödie passierte früh genug, um noch in die 23-Uhr-Nachrichten zu kommen – solche Ereignisse waren immer willkommen als Publikumsmagneten. Der verantwortliche Leiter der Bostoner FBI-Niederlassung, kurz: SAC, war noch auf. Er sah sich die Nachrichten an, während er auf die Zusammenfassung des Baseball-Endspiels wartete – er hatte an einem offiziellen Essen teilgenommen
und deswegen die Übertragung des Spiels auf NBC verpasst. Er sah den Beitrag und erinnerte sich sofort an das verrückte Telex, das er an diesem Tag bekommen hatte. Der SAC fluchte und zog das Telefon zu sich heran.
»FBI«, sagte der junge Beamte, der Telefondienst hatte.
»Wecken Sie Johnny«, verlangte der SAC. »Bei einem Brand in der Hester Street ist eine Familie ums Leben gekommen. Er weiß, was zu tun ist. Wenn nötig, soll er mich zu Hause anrufen.«
»Ja, Sir.« Damit war der Fall für den Niederlassungsleiter erst einmal erledigt. Nicht so für den Einsatzbeamten John Tyler, der im Bett lag und las, als das Telefon klingelte – er war in South Carolina geboren und zog daher College-Football professionellem Baseball vor. Er grummelte den ganzen Weg zum Badezimmer vor sich hin, dann schnappte er sich seine Waffe sowie die Autoschlüssel und machte sich auf den Weg nach Süden. Er hatte das Telex aus Washington ebenfalls gelesen und fragte sich, welche Drogen sich Emil Jacobs wohl reinpfiff. Aber es war nicht seine Sache, sich darüber Gedanken zu machen.
Nicht viel später, aber fünf Zeitzonen weiter östlich, stand Jack Ryan gerade auf, holte seine Zeitung herein und schaltete den Fernseher an. Auch CNN brachte einen Bericht über den Brand in Boston, und Ryan sprach im Stillen ein Gebet für die Opfer des Feuers, um sich direkt anschließend Gedanken über die Gasleitungen seines eigenen Ofens zu machen. Sein Haus war allerdings um einiges jünger als die typischen alten Holzhäuser im Bostoner Süden. Wenn die in Flammen aufgingen, dann mit einem Knall und schnell. Offenbar zu schnell für diese Menschen, die nicht mehr ins Freie hatten flüchten können. Jack erinnerte sich daran, wie oft sein Vater gesagt hatte, welchen Respekt er vor den Feuerwehrmännern habe, die in brennende Gebäude eindrangen, statt aus ihnen herauszurennen. Das Schlimmste an ihrer Arbeit aber musste sein, wenn sie leblose Menschen im Innern solcher Gebäude vorfanden. Jack schüttelte den Kopf, schlug die Zeitung auf und griff nach seiner Kaffeetasse, während seine Frau den Rest des Berichtes verfolgte und sich ihre eigenen Gedanken machte. Sie dachte daran zurück, wie sie in ihrem dritten Studienjahr Brandopfer behandelt hatte, und sie erinnerte sich an die grauenhaften Schreie, wenn die verbrannten
Kleider von den Wunden abgeschält wurden und es nichts, aber auch gar nichts gab, was man dagegen tun konnte. Doch diese Menschen in Boston waren nun tot und hatten es hinter sich. Sie war nicht herzlos, aber sie hatte schon viele Tote gesehen, denn der Sensenmann forderte immer wieder Opfer. So war das nun mal. Es war kein angenehmer Gedanke für eine Mutter, vor allem, weil das kleine Mädchen in Boston in Sallys Alter gewesen war. Sie seufzte. Wenigstens konnte sie heute morgen operieren und somit wirklich helfen und Leiden lindern.
Sir Basil Charleston wohnte in einem teuren Stadthaus in Londons Nobelviertel Belgravia südlich von Knightsbridge. Er war Witwer, und seine erwachsenen Kinder hatten schon vor geraumer Zeit das Haus verlassen. Insofern war er daran gewöhnt, allein zu leben, wenngleich sich ein Sicherheitsbeamter immer unauffällig in seiner Nähe aufhielt. Zudem kam dreimal die Woche eine Haushaltshilfe, um das Haus auf Vordermann zu bringen. Einen Koch hatte er auch nicht, da er lieber auswärts aß oder sich selbst kleine Mahlzeiten zubereitete. Allerdings besaß er natürlich die übliche technische Ausrüstung eines Meisterspions: drei verschiedene abhörsichere Telefone sowie Telex und Fax, die beide ebenfalls vor fremdem Zugriff geschützt waren. Er hatte keinen persönlichen Sekretär, der mit im Haus lebte, doch wenn im Büro viel los und er nicht da war, sorgte ein Kurierdienst dafür, dass ihm die neuesten im Century House eingetroffenen Nachrichten sofort vorbeigebracht wurden. Seit er davon ausgehen musste, dass die »Gegenseite« sein Haus überwachte, hielt er es in Krisenzeiten für klüger, zu Hause zu bleiben, um nach außen hin den Eindruck zu vermitteln, alles sei in bester Ordnung. Aber eigentlich war
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