Red Rabbit: Roman
seiner Angst aus Kindertagen begründet lag, zu spät zu kommen. Aus welchem Grund auch immer – er jedenfalls wäre an Rabbits Stelle längst da, wenn er mit dem Zug um 13:00 Uhr fahren wollte. Aber so dachte eben nicht jeder, ermahnte sich Nigel, während Paul Matthews seine Fragen stellte und der Fotograf seinen Kodakfilm verschoss. Da, endlich…
Ja, das war er, Rabbit, zusammen mit Mrs Rabbit und dem kleinen Häschen. Nigel klopfte dem Fotografen auf die Schulter.
»Diese Familie dort, die gerade auf uns zukommt… Ist das nicht ein süßes kleines Mädchen?«, sagte er laut, sodass jeder im Umkreis ihn hören konnte. Der Fotograf schoss sofort zehn Bilder, wechselte dann zu einer Nikon und schoss noch zehn weitere Fotos. Hervorragend, dachte Haydock. Er würde sie noch entwickeln lassen, bevor in der Botschaft der Tag beendet wurde, und dann Ed Foley mehrere Abzüge schicken, nein, er würde sie ihm persönlich bringen. Und auch Sir Basil würde er Abzüge durch einen königlichen Boten – die würdevolle Bezeichnung der Briten für einen diplomatischen Kurier – überbringen lassen, damit sie sich sicher in seiner Hand befanden, bevor er zu Bett ging. Haydock fragte sich, wie man wohl bewerkstelligen wollte zu verschleiern, dass das Rabbit übergelaufen war. Sicherlich mussten dafür Leichen beschafft werden. Ekelhafter Gedanke, aber es war möglich. Er war froh, dass er sich um diese Details nicht kümmern musste.
Die Rabbit-Familie ging etwa in drei Meter Entfernung an ihm und seinem Freund, dem Reporter, vorbei. Es wurde kein Wort gewechselt, nur das kleine Mädchen drehte sich nach ihm um, wie kleine Mädchen das eben so tun. Er zwinkerte ihm zu, und es lächelte zurück. Dann waren sie an ihm vorbei, blieben bei dem Schaffner stehen und zeigten ihm ihre Fahrscheine.
Matthews stellte immer noch Fragen und erhielt sehr höfliche Antworten von dem lächelnden russischen Eisenbahnmitarbeiter.
Exakt um 12:59 Uhr und dreißig Sekunden ging der Schaffner – zumindest vermutete Haydock aufgrund seiner schäbigen Uniform, dass es einer war – am Zug entlang und vergewisserte sich, dass alle Türen bis auf eine geschlossen waren. Er blies in seine Trillerpfeife und schwenkte eine Kelle, um dem Zugführer anzuzeigen, dass er losfahren konnte. Und exakt um 13:00 Uhr ertönte das Abfahrtssignal, der Zug ruckelte schwerfällig an und gewann langsam an Fahrt, während er aus dem weitläufigen Rangierbahnhof hinausfuhr und Richtung Westen rollte – Kiew, Belgrad und Budapest entgegen.
24. Kapitel
HÜGELLANDSCHAFTEN
Vor allem für Swetlana, aber auch für den Rest der Familie war das Ganze ein Abenteuer, da noch keiner von den Zaitzews je mit einem internationalen Zug gefahren war. Der Rangierbahnhof vor dem Fenster unterschied sich nicht von anderen Rangierbahnhöfen: Kilometer um Kilometer paralleler, auseinandergehender oder sich überkreuzender Schienenstränge, auf denen Güterwagen von wer-weiß-wo nach wer-weiß-wohin fuhren. Das Rattern des Zuges auf den holprigen Gleisen vermittelte den Eindruck, als führen sie besonders schnell. Oleg und Irina zündeten sich Zigaretten an und schauten aus den großen, aber schmutzigen Fenstern. Die Sitze waren einigermaßen bequem, und als Oleg einen Blick nach oben warf, sah er die Betten, die sich herabklappen ließen.
Sie hatten zwei durch eine Tür miteinander verbundene Abteile für sich. Die Täfelung bestand aus Holz – vermutlich Birke –, und in jedem Abteil befand sich, sehr ungewöhnlich, ein eigener kleiner Waschraum. So würde zaichik zum ersten Mal in ihrem Leben ihr eigenes Bad haben, etwas, das sie noch gar nicht zu schätzen wusste.
Fünf Minuten nachdem sie den Bahnhof verlassen hatten, erschien der Schaffner, um ihre Fahrscheine zu kontrollieren, und Zaitzew gab sie ihm.
»Sie sind von der Staatssicherheit?«, fragte der Schaffner höflich. Also hat mich das KGB-Reisebüro angekündigt, dachte Zaitzew. Nicht schlecht. Dieser Schreibtischhengst wollte die Strumpfhose für seine Frau offenbar wirklich gern bekommen.
»Darüber darf ich nicht reden, Genosse«, antwortete Oleg Iwan’tsch mit strengem Blick, um dem Schaffner seine Wichtigkeit
zu demonstrieren. Das war keine schlechte Methode, für guten Service zu sorgen. Ein KGB-Major zu sein war zwar nicht ganz so gut wie ein Mitglied des Politbüros, aber verdammt viel besser, als nur ein einfacher Fabrikleiter zu sein. Nicht dass die Leute Angst vor dem KGB hatten – sie wollten
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