Red Rabbit: Roman
Büstenhalter von Chantarelle ? Würde sie es wagen, etwas
derart Elegantes zu kaufen? Mindestens hundert Rubel würde der kosten, selbst wenn der Wechselkurs ausgesprochen günstig war. Außerdem würde nur sie wissen, dass sie so etwas trug. Ein solcher Büstenhalter würde sich anfühlen wie … Hände. Wie die Hände des Geliebten. Ja, so einen musste sie einfach haben.
Und Kosmetik. Kosmetik würde sie auch kaufen. Die bedeutete den Russinnen besonders viel. Diese Stadt war wie geschaffen für einen solchen Einkauf, denn Ungarinnen legten auch viel Wert auf Hautpflege. In ein gutes Geschäft würde Irina gehen und fragen … von Genossin zu Genossin. Die ungarischen Frauen – ihre Gesichter verkündeten aller Welt, dass sie ihre Haut pflegten. Darin waren die Ungarinnen ausgesprochen kulturniy .
Zwei weitere Stunden vollkommener Glückseligkeit gingen dahin. Irina dachte kein einziges Mal daran, dass ihr Mann und ihre Tochter auf sie warteten. Schließlich wurde für sie gerade der Traum einer jeden sowjetischen Frau wahr. Sie gab Geld aus im… gut, nicht im Westen, aber beinahe. Es war wundervoll. Am Abend würde sie den Chantarelle-Büstenhalter zum Konzert tragen und auf Bach lauschen, sich einbilden, dass sie in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort lebte, wo jedermann kulturniy war, wo es eine Freude war, Frau zu sein. Wirklich zu schade, dass ein solcher Ort in der Sowjetunion nicht existierte.
Draußen vor den Türen der Geschäfte, die sich auf weibliche Kundschaft spezialisiert hatten, stand Oleg tatenlos herum und rauchte seine Zigaretten wie jeder andere Mann auf der Welt in einer solchen Situation auch, ganz und gar gelangweilt von den Einzelheiten der Einkäufe seiner Frau.
Oleg hatte sich zwar fest vorgenommen, gerade jetzt in dieser kritischen Phase seines Abenteuers geduldig zu sein, doch eines würde er wohl nie lernen können: einer Frau beim Einkaufen zuzusehen… ohne dabei den Wunsch zu haben, sie zu erwürgen. Dieses Herumstehen wie ein verdammter Lastesel, Sachen in den Händen haltend, die sie sich nach langem Hin und Her entschlossen hatte zu kaufen, dann darauf zu warten, ob sie es sich nicht doch noch anders überlegte … Aber gut, es konnte nicht mehr ewig dauern. Schließlich hatten sie Eintrittskarten für das Konzert heute Abend. Sie mussten ins Hotel zurückkehren, einen Babysitter für Swetlana
auftreiben, sich ankleiden und zur Konzerthalle aufbrechen. Selbst Irina würde darauf Rücksicht nehmen.
Wahrscheinlich jedenfalls, dachte Oleg Iwan’tsch düster. Als ob er nicht genügend andere Sorgen hätte. Nur sein kleines Mädchen war vollkommen unbekümmert, das war offensichtlich. Swetlana schleckte ihr Eis, und ihre Augen flitzten hierhin und dorthin. Über die kindliche Unschuld war schon viel gesagt worden. Schade, dass man sie verlor – aber warum versuchten Kinder nur so angestrengt, möglichst rasch erwachsen zu werden und eben diese Unschuld hinter sich zu lassen? Wussten sie denn nicht, dass nur für sie allein die Welt voller Wunder war? Wussten sie nicht, dass mit der Vernunft die Wunder dieser Welt zu Bürden wurden? Und zur Qual?
Und dann diese Zweifel, dachte Zaitzew. So viele Zweifel.
Nein, sein zaichik wusste nichts davon, und wenn sie es erfuhr, war es ohnehin zu spät.
Endlich trat Irina mit einem strahlenden Lächeln aus dem Geschäft. So glücklich hatte Oleg sie seit der Geburt ihrer Tochter nicht mehr gesehen. Sie überraschte ihn sogar mit einer impulsiven Umarmung und einem herzhaften Kuss.
»Oh, Oleg, du bist so gut zu mir!« Und ein weiterer Kuss einer Frau, satt vom Einkaufen. Besser noch als einer, der satt ist vom Sex, dachte ihr Mann plötzlich.
»Jetzt aber zurück zum Hotel, Schatz! Wir müssen uns für das Konzert noch umziehen.«
Die Fahrt mit der U-Bahn war die leichtere Übung, dann rein ins Astoria und hoch in Zimmer 307. Dort angekommen, entschlossen sie sich kurzerhand, Swetlana einfach mitzunehmen. Einen Babysitter zu organisieren war nun doch zu umständlich. Oleg hatte an eine KGB-Offizierin vom Haus der Kultur und der Freundschaft auf der anderen Straßenseite gedacht, aber weder er noch seine Frau fühlten sich bei derartigen Arrangements wirklich wohl. Also würde sich zaichik während des Konzerts eben benehmen müssen. Sie hatten Plätze im Parkett, Reihe 6, Sitze A, B und C. Oleg würde also am Gang sitzen, und es war ihm recht so. Swetlana wollte an diesem Abend ihre neuen Sachen tragen, und er hoffte,
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