Red Rabbit: Roman
gefordert hatte.
Innerhalb weniger Minuten befanden sich die Rabbits schon außerhalb der Stadt. Hudson fuhr vorsichtig, hielt sich an die Geschwindigkeitsbeschränkungen für den Fall, dass eine Streife in der Nähe
war. Es gab jedoch kaum nennenswerten Verkehr, nur ab und zu ein paar Lastwagen, die unter ihren Planen welche Waren auch immer zu welchen Orten auch immer transportierten. Ryan auf dem Beifahrersitz hatte den Oberkörper halb nach hinten gewandt. Irina Zaitzews Gesicht glich einer Maske aus beschwipster Verwirrung, und sie verstand so wenig von den Dingen, die um sie herum vor sich gingen, dass sie nicht einmal Angst verspürte. Die Kleine schlief wieder – wie alle anderen Kinder auch. Der Vater bemühte sich um stoische Gelassenheit, doch die Krallen der Frucht konnte man trotz der Dunkelheit deutlich auf seinem Gesicht erkennen. Ryan versuchte, sich in die Lage des Mannes zu versetzen, aber es gelang ihm nicht. Ein Verrat am eigenen Land sprengte sein Vorstellungsvermögen. Er wusste, dass es Menschen gab, die Amerika in den Rücken fielen, meistens für Geld, aber er versuchte erst gar nicht, ihre Motive zu verstehen. Sicher, in den dreißiger und vierziger Jahren hatte es Leute gegeben, die den Kommunismus für die treibende Kraft in der Menschheitsgeschichte hielten, doch diese Ideen waren inzwischen ebenso tot wie Lenin. Die Idee des Kommunismus siechte dahin, außer bei denen, die seiner weiterhin als Quelle persönlicher Macht bedurften… Vielleicht gab es auch immer noch irgendwo Anhänger, die ernsthaft daran glaubten, weil sie etwas anderes gar nicht kannten oder ihnen die Ideologie von frühester Jugend an eingetrichtert worden war. So wie Geistliche oder Priester eben an Gott glaubten. Aber die Worte in Lenins Gesammelten Werken waren für Ryan nicht die Heilige Schrift und würden es niemals sein. Als junger Akademiker hatte er seinen Eid auf die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika geschworen und versprochen, als Lieutenant des United States Marine Corps stets auf sie zu vertrauen und loyal zu sein, und damit war der Fall für ihn erledigt.
»Wie lange noch, Andy?«
»Etwas über eine Stunde nach Csurgo. Der Verkehr wird uns keine Schwierigkeiten machen«, antwortete Hudson.
Damit hatte er Recht. Die Straße war zweispurig, die Fahrbahn nicht gerade breit. Notrufsäulen gab es, aber keine Leitplanken. Und das soll eine der Hauptverkehrsstraßen sein? fragte sich Ryan. Ebenso gut hätten sie durch Zentral-Nevada fahren können. Vielleicht ein oder zwei Lichter im Abstand von einem Kilometer,
Bauernhäuser, wo man die eine oder andere Funzel brennen ließ, um den Weg zum Klo zu finden. Selbst die Straßenschilder machten einen schrottreifen Eindruck und nutzten nur wenig. Mintgrüne Verkehrsschilder wie zu Hause oder freundlich-blaue wie in England gab es hier nicht. Es half auch natürlich nicht, dass die Wörter auf den meisten Schildern in dieser exotischen Sprache geschrieben waren. Die übrigen entsprachen dem europäischen Vorbild: die Geschwindigkeitsbeschränkung in schwarzen Ziffern auf einer weißen Scheibe in einem roten Kreis als Rahmen.
Hudson war ein versierter Fahrer, paffte seine Zigarre und fuhr, als ob er sich auf dem Weg zum Covent Garden in London befände. Ryan dankte Gott, dass er vor dem Marsch zum Hotel noch kurz ausgetreten war, sonst hätte er jetzt vielleicht die Kontrolle über seine Blase verloren. Seine Miene verriet wohl nicht, wie nervös er war. Das hoffte Jack jedenfalls. Immer wieder sagte er sich, dass nicht sein Leben in Gefahr war, sondern das der Menschen auf der Rückbank, für die er nun die Verantwortung übernommen hatte. Und eine innere Stimme sagte ihm, dass dies von höchster Wichtigkeit war.
»Wie lautet Ihr voller Name?«, fragte Oleg plötzlich und brach damit überraschend das Schweigen.
»Ryan, John Patrick Ryan.«
»Woher kommt der Name Ryan?«, bohrte Rabbit.
»Meine Vorfahren waren Iren. John entspricht dem russischen Iwan, glaube ich. Mein Rufname ist allerdings schlicht und einfach Jack, und der kommt bei uns so häufig vor wie bei Ihnen der Name Wanja.«
»Und Sie gehören zur CIA?«
»Ja, das stimmt.«
»Was machen Sie denn dort?«
»Ich bin Analyst. Meistens sitze ich am Tisch und schreibe Berichte.«
»Ich sitze in der Zentrale auch an einem Tisch.«
»Sind Sie Fernmeldeoffizier?«
Ein Nicken. »Da , das ist meine Aufgabe in der Zentrale.« Dann erinnerte sich Zaitzew daran, dass die Informationen,
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