Red Rabbit: Roman
geknechteten Volkes zurückzukehren.« Dieses Miststück! Bedroht mir nichts, dir nichts den Weltfrieden. Hatten ihm womöglich die Amerikaner diesen Floh ins Ohr gesetzt? Zwar war Andropow von keinem seiner Agenten ein entsprechender Hinweis vorgetragen worden, aber man konnte nie wissen. Der amerikanische Präsident war gewiss kein Freund Russlands, im Gegenteil, er suchte immerzu nach Gelegenheiten, Moskau eins auszuwischen. Was bildete sich dieser lächerliche Schauspieler, diese geistige Null, eigentlich ein, die Sowjetunion als Reich des Bösen zu bezeichnen … unerhört, so etwas zu sagen! Der Stachel saß tief, daran hatten auch die lautstarken Proteste in der amerikanischen Presse und aus Intellektuellenkreisen nichts geändert. Im Gegenteil, denn nun zerrissen sich auch die Europäer, schlimmer noch, die Osteuropäer das Maul darüber, was für seine Geheimdienste im Warschauer Pakt erhebliche Schwierigkeiten mit sich brachte. Als gäbe es nicht schon Ärger genug, brummte Juri Wladimirowitsch vor sich hin, als er eine weitere Zigarette aus der rot-weißen Schachtel zupfte und ansteckte. Für die Musik, die im Hintergrund zu hören war, hatte er vor lauter sorgenvollen Gedanken keinen Sinn mehr.
Wenn sie noch für eine Weile an der Macht bleiben wollte, würde sich die Regierung in Warschau unbedingt um diese konterrevolutionären Unruhestifter in Danzig kümmern müssen – seltsam, Andropow nannte diese alte Hansestadt immer bei ihrem deutschen Namen. Moskau hatte die Polen nachdrücklich aufgefordert, für Ordnung zu sorgen, und sie wussten, dass es besser war, einen solchen Befehl ernst zu nehmen. Die Präsenz sowjetischer Armeepanzer würde auch die Wankelmütigen zur Räson bringen. Wenn diesem polnischen Solidarnosc-Fimmel nicht bald ein Riegel vorgeschoben wäre, würde er sich womöglich noch weiter ausbreiten, bis nach Deutschland und in die Tschechoslowakei hinein. Womöglich sogar bis ins eigene Land? Das durfte nicht sein.
Wenn aber andererseits die polnische Regierung das Problem in den Griff bekäme, würde sich die Lage entspannen. Bis zu den nächsten Unruhen, dachte Andropow mit zurückgenommener Hoffnung.
Hätte er sich einen breiteren Überblick verschafft, wäre ihm vielleicht das eigentliche Problem deutlich geworden. Doch als Mitglied des Politbüros waren für ihn die unangenehmeren Aspekte des Lebens in seinem Land ausgeblendet. Ihm persönlich mangelte es an nichts. Gutes Essen war ihm so selbstverständlich wie der Zugriff aufs Telefon. Seine große Wohnung war erstklassig ausgestattet, unter anderem mit Installationen deutscher Provenienz. Auch das Mobiliar ließ nichts zu wünschen übrig. Der Fahrstuhl im Haus funktionierte zuverlässig. Er hatte einen eigenen Chauffeur, der ihn ins Büro fuhr, und genoss einen exklusiven, nicht weniger aufwändigen Personenschutz als seinerzeit Zar Nikolaus II. All das war ihm mittlerweile fast selbstverständlich geworden – solange er nicht selbstkritisch darüber nachdachte. Aber die Leute da draußen hatten doch schließlich auch genug zu essen, Fernsehen und Kino zur Unterhaltung, Sportmannschaften, die man anfeuern konnte, ja, sogar die Möglichkeit, ein Auto zu erwerben… war das etwa nichts? Und zum Ausgleich dafür, dass er sich so sehr für das Volk ins Zeug legte, hatte er schließlich einen etwas besseren Lebensstandard durchaus verdient. Das war doch wohl zu rechtfertigen. Arbeitete er nicht härter als alle anderen? Was zum Teufel wollten diese Leute noch?
Und nun probte dieser polnische Priester den Aufstand. Ihm war sogar zuzutrauen, dass er damit Erfolg hatte.
Andropow erinnerte sich an Stalins berühmt gewordene Frage, über wie viele Divisionen der Papst denn verfüge – wiewohl er selbst gewusst haben dürfte, dass eben doch nicht alle Macht der Welt aus Gewehrläufen kam.
Wenn der Papst wirklich zurückträte, was dann? Er würde nach Polen zurückzukehren versuchen. Könnte es zum Beispiel sein, dass man ihn nicht einreisen ließe und ihm die Staatsbürgerschaft aberkennen würde? Nein, irgendwie würde er es schon schaffen, in seine Heimat zurückzukehren. Andropow und die Polen hatten natürlich auch in der Kirche ihre Spitzel, aber deren Informationen taugten nicht sonderlich viel. Im Übrigen war davon auszugehen,
dass die Kirche ihrerseits seine Geheimdienste infiltriert hatte, fragte sich nur, in welchem Maße. Kurzum, jeder Versuch, den Papst von Polen fernzuhalten, wäre wohl zum Scheitern
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