Red Rabbit: Roman
man die Taktik einsetzte. Und in diesem Fall musste doch die Strategie richtig sein – im transzendentalen Sinn richtig. Nicht nur im Augenblick richtig, sondern richtig für alle Zeiten – sodass Historiker in hundert oder tausend Jahren eine Sache untersuchen und sie als richtiges Vorgehen bezeichnen konnten.
Dachte die Partei überhaupt unter solchen Gesichtspunkten? Nach welchen Kriterien fällte die kommunistische Partei der Sowjetunion ihre Entscheidungen? Was war gut für das Volk? Und wer bestimmte das? Individuen taten es, Breschnew, Andropow, Suslow und der Rest der voll stimmberechtigten Mitglieder des Politbüros, die von den nicht stimmberechtigten Mitgliedschaftskandidaten sowie vom Ministerrat und den Mitgliedern des Zentralkomitees der Partei, also allen hochrangigen Mitgliedern der
Nomenklatura, beraten wurden – den Leuten also, die der Agent in Paris per Diplomatengepäck mit Parfüm und Strumpfhosen belieferte. Zaitzew hatte jede Menge dieser Sendungen gesehen. Und er hatte die Geschichten gehört. Es waren die Leute, die ihre Kinder mit Statussymbolen und Geschenken verwöhnten und auf dem mittleren Fahrstreifen der breiten Moskauer Boulevards durch die Stadt brausten, die korrupten marxistischen Fürsten, die das Land mit eiserner Hand regierten.
Berücksichtigten diese Fürsten bei ihren Entscheidungen, was gut war für die narod – die Massen, wie sie genannt wurden –, die zahllosen Arbeiter und Bauern, über die sie herrschten, deren Wohl ihnen angeblich am Herzen lag?
Wahrscheinlich hatten die Fürsten unter Nikolai Romanow genauso gedacht und gesprochen. Lenin hatte sie alle als Feinde des Volkes erschießen lassen. Und so wie moderne Filme vom Großen Vaterländischen Krieg sprachen, hatten ältere Filme die Fürsten für ein weniger aufgeklärtes Publikum als bösartige Trottel hingestellt, als kaum ernst zu nehmende Feinde, leicht zu hassen und leicht zu töten, Karikaturen richtiger Menschen, die natürlich alle vollkommen anders waren als die Männer, die sie abgelöst hatten…
Wie die Fürsten früher auf dem Weg zum Hof ihre Dreiergespannschlitten buchstäblich über die Leichen der Bauern gelenkt hatten, so hielten heute die Beamten der Moskauer Miliz den mittleren Fahrstreifen für die neuen Nomenklaturaangehörigen offen, die keine Zeit für Verkehrsstaus hatten.
Eigentlich hatte sich nichts geändert …
Außer dass die Zaren früherer Zeiten zumindest ein Lippenbekenntnis zu einer höheren Gewalt abgelegt hatten. Sie hatten hier in Moskau die St.-Basilius-Kathedrale finanziert, und andere Adlige stifteten in weniger bedeutenden Städten zahllose andere Kirchen, weil sogar die Romanows eine Macht anerkannt hatten, die höher war als die ihre. Aber die Partei erkannte keine höhere Ordnung an.
Und deshalb konnte sie ohne Bedauern töten, weil Töten oft eine politische Notwendigkeit war, ein taktischer Vorteil, den man sich zunutze machte, wann und wo es einem gerade in den Kram passte.
Gab es keine andere Begründung für den geplanten Akt? fragte sich Zaitzew. Wollten sie den Papst nur töten, weil es ihnen besser in den Kram passte?
Oleg Iwan’tsch schenkte sich ein weiteres Glas Wodka aus der vor ihm stehenden Flasche ein und nahm einen kräftigen Schluck.
In seinem Leben gab es viele störende Details. Von seinem Schreibtisch zum Wasserspender war es zu weit. Es gab Kollegen, die er nicht mochte – Stefan Jewgeniewitsch Iwanow zum Beispiel, ein ihm übergeordneter Major in der Kommunikationszentrale. Wie er es vor vier Jahren geschafft hatte, befördert zu werden, war allen in der Abteilung ein Rätsel. Von den hochrangigeren Mitarbeitern wurde er als typischer Schreibtischhengst eingeschätzt, der außerstande war, nützliche Arbeit zu leisten. Zaitzew vermutete, dass es in jedem Betrieb so jemanden gab, eine Blamage für das Büro, aber nicht ohne weiteres loszuwerden, weil … nun, weil er einfach da war. Wäre Iwanow nicht im Weg gewesen, hätte er, Zaitzew, befördert werden können – wenn schon nicht zu einem höheren Dienstgrad, so doch in seiner Position gegenüber dem Leiter der Abteilung. Jeder Atemzug, den Iwanow tat, war für Oleg Iwan’tsch ein Ärgernis, aber das verlieh ihm noch lange nicht das Recht, den ranghöheren Kollegen umzubringen, oder?
Nein, er würde verhaftet und vor Gericht gestellt und vielleicht sogar wegen Mordes hingerichtet werden. Weil es gesetzlich verboten war. Weil es falsch war. Das sagten ihm das Gesetz,
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