Rede, dass ich dich sehe
wollte durch Abwehr der schlimmsten Injurien gegen den Schriftstellerverband und gegen meinen Kollegen Werner Bräunig, dessen vorab gedruckter Romanauszug Rummelplatz heftig angegriffen wurde, wenigstens auf die katastrophalen Folgen solcher Urteile hinweisen. Vor allem aber, das war mir damals schon bewußt, sprach
ich meinetwegen: Ich wußte, daß ich nicht mehr schreiben könnte, wenn ich hier schweigen würde. Die moralische Berechtigung, Schriftstellerin zu sein, wäre mir abgeschnitten.
Ich erklärte mich nicht einverstanden mit der politisch sehr negativen Charakterisierung des Romanauszugs von Werner Bräunig. Das begründete ich mit einem Satz, der in diesem Saal wohl noch nie geäußert worden war: »Ich könnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.« Ich sei in einem Konflikt, den ich nicht lösen könne. Das Schreiben werde immer komplizierter. Die Kunst müsse »auch Fragen aufwerfen, die neu sind«. »Man darf nicht zulassen«, sagte ich, »daß dieses freie Verhältnis zum Stoff, das wir uns in den letzten Jahren … erworben haben, wieder verlorengeht.« Die Kunst gehe »von Sonderfällen aus« und könne »nach wie vor nicht darauf verzichten, subjektiv zu sein, das heißt, die Handschrift, die Sprache, die Gedankenwelt des Dichters zu verstehen«. Dies und was ich sonst zu den Voraussetzungen des Entstehens von Literatur äußerte, war hochgradig »Subjektivismus« und heizte die Stimmung im Saal an, die sich in Zwischenrufen gegen mich Luft machte.
Ich war sehr aufgeregt und sprach, besonders am Anfang, unkonzentriert. Ich wußte, daß in diesem Gremium noch nie eine Kritik an einem Bericht des Politbüros geäußert worden war, und versuchte deshalb, im ersten Teil meiner Rede die Versammelten meines grundsätzlichen Einverständnisses mit der Politik der Partei zu versichern. Das war nicht nur taktisches Verhalten. Der tiefgehende Konflikt, in dem wir alle steckten – die Filmemacher, Bräunig, ich –, war gerade, daß wir durch unsere Arbeit die Entwicklung in der DDR vorantreiben wollten, für die wir uns mitverantwortlich fühlten. Wir hatten gehofft, nach dem Bau der Mauer würden bessere Bedingungen für eine kritische Literatur und Kunst entstehen, welche die Demokratisierung in anderen Bereichen der Gesellschaft befördern würden.
Im Grunde ging es seit dem XX . Parteitag der KPdSU darum, die Folgen des Stalinismus zu überwinden, durch zutreffende
Analyse, in der Sicht auf die Verhältnisse, in der Offenheit der Diskussion über die Widersprüche in der Gesellschaft. Diese Intentionen vieler Künstler und einiger Philosophen stießen an ihre Grenzen, wenn sie die Herrschaftsstrukturen antasteten: Die standen nicht zur Disposition. Heute sieht man klar, daß die DDR , eingeklemmt zwischen dem Diktat der Sowjetunion und dem ökonomisch-politischen Druck aus dem Westen, kaum Handlungsspielraum hatte und daß schon deshalb die Oberen äußerst empfindlich auf jede vermeintliche oder wirkliche Abweichung von ihrer Linie reagierten.
Der Vollständigkeit halber sollte ich noch erzählen, daß Anna Seghers, die als Präsidentin des Schriftstellerverbandes nach der Pause anwesend war, billigte, daß und wie ich gesprochen hatte, und mich, um mich zu beruhigen, nötigte, mit ihr ins ostasiatische Museum zu gehen – nahebei auf der Museumsinsel. In der Prozessionsstraße, vor dem Ischtar-Tor, sagte sie, in den alten Religionen hätten sie nicht mal Menschen darstellen dürfen und welch schöne Kunst hätten sie trotzdem gemacht. Die Menschendarstellung sei doch bei uns nicht verboten. Und »das andere« werde vorbeigehen, in einem Jahr sei »das« vorbei. Ich widersprach. Da wetteten wir um einen Kaffee. Wir sind nie wieder darauf zurückgekommen. – Anna Seghers, die schon ganz anderes erlebt hatte, wollte mir sagen: Nimm das nicht zu wichtig, ordne das ein. Ich konnte es nicht anders als wichtig nehmen.
In dem »authentischen« Protokoll der Tagung war dann weder die Erwähnung des Petöfi-Clubs bei Paul Fröhlich noch meine Erwiderung darauf abgedruckt. Ich beantragte, nicht wieder als Kandidatin des ZK aufgestellt zu werden. Dem wurde stattgegeben. Die Folgen des Plenums: Zwölf Defa-Filme wurden verboten (auch unser Film Fräulein Schmetterling , beim 11. Plenum noch nicht fertiggestellt, wurde nach dem Rohschnitt verboten). Der Roman Rummelplatz von Werner Bräunig wurde nicht veröffentlicht, der Autor begann sich in den Alkohol zu flüchten und starb früh. (Im vorigen Jahr
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