Rede, dass ich dich sehe
hat
der Aufbau Verlag sein nachgelassenes Manuskript veröffentlicht, das unter anderem die frühen Jahre in der »Wismut« schildert, wo unter schwierigen Bedingungen Uran für die sowjetische Atomproduktion gefördert wurde. Dieses Buch hatte, auch wegen seiner literarischen Qualität, einen spektakulären Erfolg.) Es begann die Polarisierung unter den Intellektuellen in der DDR , die nach der Biermann-Ausbürgerung krasse Formen annahm. – Ich begann im Jahr nach dem Plenum Nachdenken über Christa T. zu schreiben.
2009
In Zürich und Berlin
Zum fünfundsiebzigsten Geburtstag von Adolf Muschg
Lieber Adolf Muschg,
eines der ersten Bilder, die ich sehe, wenn ich an Dich denke, zeigt Dich in einer Zürcher Kneipe (vielleicht war es auch ein seriöses Restaurant): Ein gut aufgelegter Mann, der soeben als Kandidat der Schweizer Sozialdemokraten eine Kommunalwahl verloren hat; ich erinnere mich nicht an den Inhalt, wohl aber an den Ton der kurzen Rede, die Du hieltest, und an die lebhafte Zustimmung, den Beifall der Dir wohlgesinnten Anwesenden. Ich erinnere mich, daß mir Deine Haltung zu einer Niederlage, Deine Souveränität sehr gefielen: nicht im mindesten deprimiert oder resigniert zu sein.
Schon vorher und danach gab es die Lektüre Deiner Bücher, an denen mich besonders ihre psychologische Tiefenschärfe und das profunde Wissen auf so vielen Gebieten faszinierten. Und natürlich der immerwährende Antrieb zu der heiklen Tätigkeit des Schreibens, den Du direkt und indirekt zu erkennen gibst: die Selbsterforschung und die schonungslose Auseinandersetzung mit den Wurzeln dieses Antriebs (»… dann wird es nötig, dass ich mit mir leben lerne, bevor ich sterbe« – ein Bedürfnis, das man wohl »existenziell« nennen kann, genügend dringlich, daß es die beeindruckende Reihe Deiner Bücher hervorbrachte und weiter hervorbringt). Auf dieser Ebene stellte ein Gedanken-Dialog wie von selbst sich her.
Dann kam später überraschend Deine Einladung, Dich in Zürich in Deinem Schreibseminar an der Technischen Hochschule zu vertreten, während Du als fellow beim Wissenschaftskolleg in Berlin sein würdest. Was zunächst nur wie eine Vertauschung der Wohnorte aussah, wurde mehr für uns: die Erfahrung, als Beschäftigte in einer westlichen Stadt zu leben,
was für uns – es war der Winter 1987 – noch keineswegs selbstverständlich war. Es ergab sich für uns daraus eine im Wortsinn eigenartige Parallelität und Verknotung unserer eigenen, gerade besonders drängenden Problematik, da bei uns zu Hause die Turbulenzen jener Jahre begannen, an deren Ende der Zusammenbruch der DDR stand, mit den verwickelten Selbstfindungsprozessen »westlicher« Studenten, für die das Schreibseminar oft ein Vorwand war und auf die Du Dich eingelassen hattest, während Du sie gleichzeitig die Grundlagen professionellen Schreibens lehrtest, soweit die lehrbar sind. So warst Du zwar nicht leibhaftig, aber doch »im Geiste« anwesend.
Danach gab es Begegnungen bei dieser und jener Schriftstellerzusammenkunft, wie das in unserem Gewerbe üblich ist, wenn man weit entfernt voneinander wohnt. Ich erinnere mich an ein Essen nach einem Vortrag von Hans Mayer über Heinrich Mann in der Westberliner Akademie der Künste – in der Du später Präsident warst. Das brachte Dich näher an uns Berliner heran, und wieder hatte ich Gelegenheit, die Brillanz Deiner Reden zu den verschiedensten alten und neuen Autoren zu bewundern, die Dein Amt Dir auferlegte.
Zuletzt, im April 2007, fuhren wir gemeinsam in einem Auto nach Potsdam-Genshagen, um mit anderen auf einem Podium über Georg Büchner zu reden. Ich mußte in alten Kalendern blättern, um diesen Termin zu finden – mir schien dieses bisher letzte ausführlichere Zusammentreffen mit Dir erst wenige Monate zurückzuliegen. So geht die Erinnerung mit uns um, das wirst Du wissen und, je älter Du wirst, mehr und mehr erfahren. Aber von Freunden und Gefährten bleibt einem, auch wenn Einzelheiten verschwimmen mögen, doch der Eindruck von der Essenz einer Person. Diese Eindrücke gehören zum großen Gewinn eines Lebens.
Dein fünfundsiebzigster Geburtstag trifft Dich bei voller Arbeitsfrische, anders kann ich mir Dich nicht vorstellen. Ich gehöre nicht zu denen, die sich und anderen ein fortgeschrittenes Alter schönreden können. Manches wird schwieriger, lastender,
anstrengender, Alterserfahrung macht ja nicht nur (oder überhaupt nicht) »weiser«, sondern auch nüchterner,
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