Rede, dass ich dich sehe
Das sagt sie auch, und sie trifft schmerzempfindliche Punkte. Wie es sie, als sie als Vierzehnjährige nach Deutschland kam, 1952 – also eben nicht nach »Deutschland«, sondern in die DDR –, seltsam berührt hat, daß keiner Deutscher sein wollte. Sie schreibt: »Ich dachte, die Vergangenheit lastet zu schwer auf diesen Nachgeborenen, selbst um sich zu ihrer Muttersprache zu bekennen. Eine hilflose Art der Verdrängung. Vielleicht.«
Nun erleben wir es ja bis in unsere Tage, ich denke: besonders in unseren Tagen, daß wir, da unsere Geschichte uns kein sicheres Selbstgefühl hat wachsen lassen, es schwer mit uns und miteinander haben und es dadurch anderen schwer mit uns machen. Nuria Quevedo spricht in diesen Texten, soviel ich weiß, zum ersten Mal öffentlich, auch über ihre Schwierigkeit mit Deutschen; wie Franz Fühmann, den sie verehrt und bewundert, der ihr doch bis zu einem gewissen Grad fremd bleibt in seiner »extremen Persönlichkeit«: »Er litt an Deutschland und er litt an sich selber in einer Art, die wir wohl nicht nachvollziehen können.« An der deutschen Literatur berühre sie tief der »bittere Zug der Selbsterkenntnis«, sagt sie, trotzdem würde sie in Kein Ort. Nirgends dem Kleist »ein wenig grollen«.
Ich glaube zu verstehen. Eine »extreme Persönlichkeit« ist er ja auch, dieser Kleist, in seiner Unbedingtheit, auch Verbohrtheit bis zur Selbstzerstörung, in seinem durch kein Lächeln erhellten unerschütterlichen Ernst. An einer Stelle aber, denke ich, könnte sich eine der Figuren dieses Dichters mit der Lieblingsfigur der Nuria Quevedo, geschaffen von einem spanischen Dichter, berühren: Im Traum des Prinzen von Homburg könnte diesem unglücklichen preußischen Offizier ein ebenfalls, aber auf ganz andere Weise unglücklicher Ritter, Don Qui
jote, zur Seite treten, einen Traum-Augenblick lang könnten sie einander mit leisem Verständnis zulächeln.
Das Leben ein Traum ist ja das Motto der von Nuria Quevedo aus der Figur und aus dem traurigen Geist des Don Quijote geschaffenen Reihe ihrer Kopf-und-Hand-Bilder. Es wäre des Nachdenkens wert, auf welch verschiedene Weise die Völker traurig sind und daß sie, weniger als an ihrer Lustigkeit, daran nichts ändern können, da man sich in einer Trauer nicht verstellen kann. Auch in der Einsamkeit nicht. Der Don Quijote in seinem Geschick und Ungeschick, in seiner Verranntheit und in seiner schmerzlichen Zärtlichkeit ist eine sehr menschliche Figur. Nuria Quevedo zitiert, im Geist des Don Quijote, den spanischen Dichter Unamuno: »Wie denn? Glaubt ihr, daß Don Quijote nicht auferstehen wird? Es gibt Leute, die da meinen, er sei gar nicht gestorben …« »Immerhin«, sagt Nuria, »ich bin ein bescheidenes Mitglied in der Schar der Freunde des Ritters von der Traurigen Gestalt.«
2000
Angela Hampels Gestalten im Spannungsfeld
Angela Hampel ist mir nahe, obwohl, nein: weil sie so anders ist als ich. Und weil dann plötzlich Berührungspunkte aufblitzen. Wir begegneten uns über dem Kassandra-Thema. Angelas Blätter versetzten mir einen Stoß: Ja, so konnte eine junge heutige Kassandra sein: antiklassisch, herausfordernd, keck, zornig, alles andere als schicksalsergeben. Aber nicht schicksal-los. Ungebärdig sind die meisten Frauenfiguren der Hampel, mir war klar, ungebärdig ist sie selbst, dabei natürlich sensibel, verletzbar, fähig, nachhaltig zu trauern.
Das alles ist im Strich, mit dem sie die Gesichter, die Umrisse der Gestalten aufs Papier wirft, die Kühnheit des Sehens hat mich mitgerissen, die lockenden, verführenden Blicke, die zugleich stolz und abweisend sind. Eine Frau, die ihre, unsere Zeit durchlebt, die sich aussetzt und sich nicht zerstören läßt.
In Angela Hampels Medea-Höhle geht man mit Aladins Wunderlampe, holt mit dem Lichtstrahl ein einzelnes Blatt aus dem Dunkel, eine Gruppe von Blättern. Wieder Frauengesichter, meistens den Blick auf den Betrachter richtend, einen ruhigen, gelassenen Blick, verhalten, den Zuschauer nicht brauchend. Haben sie sich in die Höhle verkrochen? Wollen sie in Ruhe gelassen werden, bei sich selbst sein? Eine weint, unbewegten Gesichts. Eine andere trägt Tierohren. Verschiedene skurrile Kopfbedeckungen sind ihnen aufgesetzt. Verletzungen gibt es, durch Nägel. Man bewegt sich in einer fremden versunkenen Welt, die mit merkwürdigen Signalen an die unsere rührt.
Angela Hampels Phantasie, kühn und ausschweifend, schafft einen Wiedererkennungseffekt: Ach ja, so
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