Rede, dass ich dich sehe
gemacht, sollte man meinen, aber da er selbst sich seiner Angreifbarkeit nicht bewußt war, hat es ihn auch geschützt. Daß er nicht die Spur taktischen Verhaltens zeigte, nicht zeigen konnte , daß er jedem gegenüber offen, wohlwollend, zutraulich die Voraussetzungen, die Inhalte seines Werkes aufdeckte, daß er jeden ernst nahm und in ihm einen künftigen Verständigen sah, das hat auch die Unverständigen wohl verblüfft. Das hat ihren Verdächtigungen den Boden entzogen. So blieb er weitgehend unbehelligt und machte sich nicht einmal klar, daß das ein kleines Wunder war.
Der äußerst diffizile, auf umfangreichen und tiefgehenden
philosophischen Voraussetzungen basierende Charakter seiner Arbeit scheint der Klarheit, beinahe Durchsichtigkeit des Wesens von Carlfriedrich Claus zu widersprechen. Fast geniert man sich, es zu sagen: Er war ohne Harm, ohne Falsch. Dabei keineswegs beeinflußbar.
Seine Lebensweise war derart abwegig, daß Freunde sich immer wieder zu Gegenentwürfen veranlaßt sahen. Carlfriedrich, ein höflicher Mensch, hörte sich alles an, genoß, wenn er auf Besuch bei Freunden war, alle Annehmlichkeiten eines bürgerlichen Haushalts, besonders gutes Essen, und ging zurück in seine Annaberger Klause, wo er, um den Staub zuzudecken, auf dem Boden eine neue Lage Papier über die alten auslegte, sich mit Milchpulver und starkem Kaffee am Leben hielt, den täglichen Gang zur Post zelebrierte und in den tiefen Nächten, in Selbstbeobachtungen versunken, seine einmaligen Blätter schuf. Dabei wurde er immer blasser, durchgeistigter, seine Augen wurden immer größer und strahlender.
Und er wurde, das war vorauszusehen, krank. Aber er mußte tun, was er tat, und er konnte es nur so tun. Wenn man will, mag man ihn als Figur anachronistisch nennen. Ich denke, seine visionäre Gedankenwelt, die in seinen Schriftblättern aufgehoben ist, weist weit in die Zukunft hinaus. Er hat daran geglaubt, daß es Sinn hat, an die Wurzeln unserer Existenz als Menschen vorzudringen und sie bloßzulegen. Er unterzog sich der enormen Anstrengung, die dazu nötig war, um aus der Untiefe des bisher Unbewußten und Ungesehenen etwas Gestaltetes heraufzuholen, das in uns Erkenntnis, Wieder-Erkennen aufblitzen läßt und uns staunen macht.
2005
Carlfriedrich Claus, Für Christa zum 18. 3. 79 . Pinsel,
Tusche auf Transparentpapier (Vorderseite) 1979
Ein Ring für Nuria Quevedo
Ich wüßte niemanden, dem oder der ich diesen Ring der Galerie »Sonnensegel« lieber übergeben würde als Nuria Quevedo.
Ich will ganz persönlich sprechen, fern von jedem Versuch, ihr Werk auch nur andeutungsweise zu würdigen. Ich kann sagen, daß ich mit ihren Bildern lebe, seit ich sie – soweit es sie damals schon gab – in der großen Schweriner Ausstellung 1981 zum ersten Mal sah; das heißt, ich kann sie mir heraufrufen, ich nenne nur wenige: das große Bild der spanischen Emigranten aus dem Bürgerkrieg, in deren »hermetischer Welt« sie als junges Mädchen gelebt hatte, dann: Eine Art, den Regen zu beschreiben , und ganz besonders: Der geschlagene Don Quijote kehrt zurück – wie er, der Ritter von der Traurigen Gestalt, gestützt auf Sancho Pansa und auf einen langen Stab, offenbar mühsam, Schritt für Schritt, über eine endlose Ebene daherkommt, das kann man nicht vergessen, und ich habe erlebt, wie dieser Don Quijote als Sinnbild für den immer wieder Geschlagenen, der niemals siegen wird, aber immer wieder zurückkehrt, in jede Veränderung der Gesellschaft hineinpaßt, eben weil er in keine paßt, je gepaßt hat und passen wird, eine Gestalt, die einfach weitergeht, erschöpft, aber unbeirrt, ein Urbild menschlicher Sehnsucht, die zu unterdrücken, aber nicht auszurotten ist: »Ein unerschöpfliches Thema«.
In den achtziger Jahren fingen wir an, sparsam Briefe und Karten zu wechseln, es ging um Nurias Arbeiten zu Kassandra , die, wie alle ihre vielen Arbeiten zur Literatur, keine Illustrationen sind, die mir eine tiefe archaische Schicht der Figur gezeigt haben. Sie habe »Zugang zum Deutschen« – das ihr, der spanischen Emigrantin, fremd war, die die »etwas bittere Schönheit der Berliner Straßen« sehen lernte durch Konrad Knebels Bilder –, sie habe Zugang zum Deutschen, »als Mentalität, als Eigenart eines Volkes, geprägt durch Kultur, Geschichte und Ge
genwart«, durch die Literatur bekommen. Und sie hat »dafür«, als Gegengabe, uns, mit deren Werken sie sich als Künstlerin auseinandergesetzt hat,
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