Rede, dass ich dich sehe
ihren romanischen Blick auf unsere Gestalten, Phantasien, Träume geschenkt.
Ich habe beschrieben, wie ich vor Jahren Nuria in ihrem Atelier in der Frankfurter Allee besucht habe, dort arbeitet sie nicht mehr, sie ist umgezogen, ihr neues Atelier kenne ich noch nicht, und zu den bedeutenden Veränderungen in ihrem Leben der letzten Jahre gehört es, daß sie sich eine Arbeitsstätte in ihrer Heimat, in einem kleinen Ort in Spanien, geschaffen hat, aus dem, wie ich von Menschen weiß, die sie gesehen haben, nun Bilder in einer neuen starken Farbigkeit in die Berliner Ausstellungen kommen.
Nuria ist neun Jahre jünger als ich, wir haben am gleichen Tag Geburtstag, jedes Jahr kam von ihr eine gezeichnete Blume, auf die ich mich immer schon gefreut habe. Diesmal kamen aus dem katalanischen Ort, in dem sie jetzt Teile des Jahres arbeitend verbringt und dessen Namen ich nicht aussprechen kann, zwei Ansichtskarten, je eine Meeresbucht, blaugrünes Wasser, Felsenufer, darauf geklebt Figuren, die zu der Serie gehören könnten, an der sie vor kurzem gearbeitet hat, teils ruhend gelagert, teils zügig schreitend, und auf einer Karte eine aufgeklebte Sonne, auf der anderen ein aufgeklebter Sichelmond. Ich glaube mich nicht zu irren in dem Eindruck, daß diese Möglichkeit, wieder heimatliche Luft zu atmen, die Muttersprache zu hören, am Alltagsleben ihrer Landsleute teilnehmen zu können, Nuria Quevedos Leben um jene wichtige Facette reicher gemacht hat, die der Emigrantin so lange fehlte, und daß sie eine Quelle neuer Lebensfreude, neuen Mutes, vielleicht Über-Mutes für sie geworden ist.
Sie ist ein zurückhaltender Mensch, es ist nicht ihre Art, von sich zu sprechen. Es gibt nun einen Glücksfall: ein Buch der Berliner Graphikpresse, in dem neben eigens für dieses Buch gestalteten Blättern von Nuria Quevedo Texte gesammelt sind, die sie über die Jahrzehnte hin geschrieben hat. Bleikugeln in
der Hand heißt es, der Titel ist einem Satz aus einem der Texte entnommen, der 1993 geschrieben wurde. »Vor kurzem klagte ich«, heißt es da, »Worte seien mir unhandlich geworden, und dachte an Bleikugeln in meiner Hand.« Nun zeigen aber gerade diese meist sehr kurzen Aufsätze, Reden, Portraits, daß sie Worte zu handhaben weiß – gerade dieses Wort paßt hier, paßt auf sie. Die sie ja eine ganze Reihe von Blättern unterschiedlicher Technik zu dem Thema Kopf und Hand geschaffen hat, Blätter der Selbsterforschung, in denen sie über Denken und Tun, über Handeln und Erkennen nachdenkt und in die das Schreiben als ein Vorgang von Hand und Kopf hineingehört. Zwei dieser Blätter sind auch in dem Buch, von dem ich spreche und das mich sehr beeindruckt hat. Die erste Radierung zeigt den langschädligen, großnasigen Mann – seinen Kopf –, einen Verwandten des Don Quijote, wie er sich grübelnd mit der Hand an die Stirn faßt, und auf den freien Flächen des Blattes ist der Vers von Karl Mickel angeordnet: »Ist es woanders / Anders? / Ist es hier denn / Anders als Anderswo?« Dies mag formulieren, was Nuria Quevedo oft, fragend, empfunden haben mag: »Ich selbst bin ein wenig entwurzelt«, sagt sie in ihrer untertreibenden Manier, »und habe dadurch den Vorteil, mit Empfindlichkeit beobachten zu können.« Ja, sagt sie, zeichnend, malend – das sei ihre eigentliche Sprache –, aber auch schreibend: Ja, es ist woanders anders. Und: Nein. Es ist hier nicht anders als anderswo.
Überall, sagt sie zum Beispiel, bestehe die »Gefahr der geistigen Regression der Menschheit, des Zerfalls der Vernunft, der verhängnisvollen Faszination des Abgrunds«, und sie bekennt sich zu dem Wunsch, »Kunst möge im Dienste menschlicher Vernunft einwirken können«, sie bekennt sich, weitab von postmoderner Beliebigkeit, zu ihrer »Bemühung um Erkenntnis und Mitteilung«. In diesem sehr weit gespannten Rahmen, glaube ich, sieht Nuria auch ihre Mitwirkung an den Fahrten jenes Schiffchens – oder ist es unter der Hand und mit Hilfe gutwilliger Behörden ein großes, sicheres Schiff geworden, mit
Tendenz zum Ozeandampfer? –, über dem das Sonnensegel aufgespannt ist, das, so wünsche ich und so wü
nscht auch sie, da bin ich sicher, allzeit guten Wind haben möge und niemals eingeholt werden soll.
Nuria Quevedo, Aus der Mappe Kassandra . Radierung. 1983
Aber was ist »woanders anders«? Was befremdet die Katalanin – eine Landsmännin, am Rande bemerkt, des Picasso, des Miró, des Dalí –, was befremdet sie in und an Deutschland?
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