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Rede, dass ich dich sehe

Rede, dass ich dich sehe

Titel: Rede, dass ich dich sehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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sie in »Traumpfade« münden.
    Ich muß ihre Buchproduktion an die Seite ihrer Farbradierungen stellen. Daß es dieser Künstlerin um Wesentliches geht, bezeugen die Texte, die sie auswählt, und die Namen der Dichter, denen sie sich nähert, die sie zitiert. Ingeborg Bachmann, Erich Fried, Paul Celan, Nazim Hikmet, Gustave Flaubert, Elias Canetti, Heinrich Heine. Das ägyptische Totenbuch. Deren Zeilen sie nachschreibt, die sie überschreibt, die sie sich so aneignet – auch, indem sie die Länder und Landschaften bereist, aus denen heraus besonders die alten Texte gewachsen sind. Oder indem sie die Berührung mit Autoren zeitgenössischer Schriften sucht und damit eine Zuneigung, aber auch eine Spannung herstellt, der sie sich und den Betrachter aussetzt und die sich zuerst vielleicht als Überraschung äußert.

    Helga Schröder, Medea . Buchobjekt. 1997
    So ging es mir: Ich war überrascht, als ich das erste Blatt, das mich betraf, einen »Brief«, sah. Mit seiner blaß in den Hintergrund gedrängten Spiegelschrift, die zum großen Teil überdeckt ist, konnte ich ihn nicht auf die übliche, gewohnte Weise
»lesen«. Und doch enthielt er eine Botschaft, eine Anrede, die nicht formuliert sein wollte, der sich die Wörter entzogen. So ging es dann mit jeder neuen Annäherung, die Helga Schröder an eine meiner Arbeiten unternahm – als Graphik-Buch Medea , als Radierungen, als Objekte, wie ihre archaisch wirkenden Schriftrollen zum Kassandra-Komplex. Es gibt jedes Mal ein Wieder-Erkennen, ein Verstehen, eine allmähliche Aneignung. Keine Auflösung, ein Rätsel bleibt. Etwas Verborgenes, nicht ganz Ausgeleuchtetes in diesem hellen Licht. Ich kann, ich muß mich immer wieder neu hineinsehen in die Zeichensprache der Helga Schröder und spüre jedes Mal die Spannung zwischen Vertrautheit und Fremdheit. Diese Spannung, die nicht willkürlich »gemacht« werden kann, vermittelt den Eindruck von intensiver Wahrhaftigkeit. Und wenn ich ein Motto nennen sollte, das von früh an hinter all diesen Arbeiten aufscheint, so ist es dies: »Du siehst, ich lebe.«
     
    2007

Köpfe – Ein Gespräch mit Martin Hoffmann

    Für unser Gespräch hat Martin Hoffmann eine Auswahl von Collagen mit den Kopfmotiven um uns herum aufgestellt. Befragt, warum es vorher keine Figuren bei ihm gab, höchstens als Schatten, auch keine Portraits, sagt er, er habe damals Situationen darstellen wollen, welche die Frage provozierten: Wo leben wir denn eigentlich. Das habe viel mit der DDR zu tun gehabt. Er habe nach jeder Ausstellung auf einem Gespräch mit dem Publikum bestanden, in dem weniger der Kunstaspekt seiner Arbeiten, sondern eben diese Frage bewußt heraufbeschworen wurde. Dies habe sich jetzt geändert. Die Räume, die er mit seinen Sepias gestaltet und geöffnet habe, könne man als Bühnen sehen für den möglichen Auftritt von Figuren, die noch abwesend seien.
    Die Technik, welche die Köpfe hervorbringt, hat Martin Hoffmann zuerst bei einem Janus-Kopf angewendet, entworfen für den Verlag Gerhard Wolf Janus press, dann bei einer Medea-Figur, zu der ihn mein Text Medea. Stimmen angeregt hatte und die mir sofort entgegenkam. Im Winter 1999 habe er sich dieser Machart erinnert, sagt er, und angefangen, an den Köpfen zu arbeiten. Die Technik schildert er so:
    Er nehme sehr durchscheinendes Pergamin-Papier und als Untergrund dunklen Karton. Er wisse, daß er einen Kopf machen wolle; vielleicht setze er an den Rand ein paar Orientierungspunkte. Dann reiße er ein Stück von dem Papier, klebe es auf. Vielleicht werde dort einmal der Hals sein – der übrigens enorm wichtig sei – oder die Stirn. Jedenfalls entstehe mit diesem ersten Stück eine Bewegung auf dem dunklen Grund. Darauf antworte er, damit trete er in ein Gespräch, möchte ein Gegenüber kenntlich werden lassen mit einem zweiten, mit einem dritten gerissenen Stück Papier und vielen folgenden – die kle
be er sozusagen mit kühlem Kunstverstand. Es gebe keine Vorzeichnung. Später gelte es, die gewordene Form nicht festzulegen, den Prozeß der Annäherung nicht zu beenden. Solche Blätter, bei denen etwas wie ein Gesicht erscheine, das ihm flach vorkomme, wanderten ab in die Schublade. Nie versucht er, irgendeine Portraitähnlichkeit herzustellen.
    Ich will formulieren, was für einen Eindruck die Köpfe auf mich machten, als ich sie zum ersten Mal sah: Überraschung, Erstaunen, fast Erschrecken. Als ob sie sich von ihrem Hintergrund lösten und sich auf mich zu

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