Rede, dass ich dich sehe
ist es auch. Das ist in uns. Diese Einsamkeit. Dieses rückhaltlose Begehren, die Aggressivität, dieses Ungenügen, dieses Liebesverlangen, diese Hin
gabe. Tiere, die ihren Frauenbildern oft beigegeben sind, stehen für die ungestillten Triebe, das ungelebte Leben – eine merkwürdige Trauer liegt über dem Ganzen.
Angela Hampel, Komm, Kassandra . Lithographie. 1984
Hier in ihrer Höhle, auch in ihren Kassandra-Blättern, trifft sich die Archaik mit der Moderne, der Blick der Künstlerin durchdringt die Zeitalter. Die archaischen Motive entspringen einer akuten, sehr gegenwärtigen Spannung, aus Schmerz und Lust, auch wohl aus einer tiefen existentiellen Angst: daß wir es nicht schaffen könnten. Daß wir den Sinn, auf dieser Erde menschlich miteinander zu leben, verfehlen könnten. In dieser Angst treffen wir uns. Ich verstehe ihre Radikalität. Ihre aufgerissenen Augen. Die Unbedingtheit ihrer Selbstbefragung. Die Beharrlichkeit ihrer unerfüllbaren Wünsche, »eine gute Künstlerin und eine glückliche Frau sein zu können«.
Spreche ich von der Malerin? Von der Frau? Das kann ich nicht trennen. Angela Hampel weiß um die Gefahr der Vergeblichkeit, sie strengt sich an, ihr zu widerstehen. Was sie zeichnet, malt, wirkt niemals angestrengt, sondern eigenwillig, ungestüm, energiegeladen. Sie lebt, manchmal auch physisch, auf der Kante. Sie stürzt nicht ab. Sie macht keine Zugeständnisse. Sie bewahrt sich ihre politische Wachheit, ihren unbestechlichen Blick. Vor allem bewahrt, nein mehrt sie ihre Substanz. Sie geht einfach weiter, unangefochten, so scheint es.
Das ist ermutigend.
2000
Entwürfe in Farbe –
Radierungen der Helga Schröder
»Farbradierungen« heißt es. Die Blätter betrachtend, sehe ich zuerst die Farben. Das Schrödersche Blau, das ich suche, seit sie, Helga Schröder, durch dieses Blau mit einigen meiner Texte einen Dialog aufgenommen und damit ihre Kassandra und das Buch Was nicht in den Tagebüchern steht für mich an diese Farbe gekoppelt hat. In der Reihe der großformatigen Kassandra -Radierungen wird das Blau gebrochen durch ein lichtes Ocker, das sich zu einem rötlich unterlegten Umbra-Braun verdichtet, als die dringliche Frage: »Wann beginnt der Vorkrieg?«, die mein Text stellt, zu Papier gebracht wird. Sonst überwiegt ein intensives Gelb, ein hervorstechendes Apfelgrün: »Briefe« – an welchen Adressaten gerichtet? Wer »liest« diese Botschaften, deren Schrift zunehmend unleserlich gemacht ist?
Mich verleiten diese »Briefe«, wenn sie erkennbar an mich gerichtet sind, zu Übungen in assoziativer Bildbetrachtung, tastend den Weg zurückverfolgend, den die Schreiberin, die Zeichnerin selbst genommen hat: eine Botschaft ausdrückend, die dem Betrachter die Freiheit der Vieldeutigkeit läßt. Über das Bild-Angebot kann dieser Betrachter seinen Weg zu dem Ursprung, zur Schrift, finden. Zu den Zeichen, die etwas bedeuten. Die für diese Künstlerin zwingend sind. Die in dieser Künstlerin etwas bewegt, einen Prozeß der Gestaltung angeregt haben, dessen Ergebnis nicht voraussehbar und doch nicht zufällig, beliebig ist, aber auch nicht eindeutig, sondern oft rätselhaft. Eine Handschrift bildet sich heraus, die das Werk der Helga Schröder prägt.
Nicht das einzelne Blatt, sondern der Zusammenhang der Blätter verschiedener Formate und verschiedener Genres bezeugt das künstlerische Gesetz, dem sie entspringen. Wer diese Blätter gesehen hat, wird die Bücher der Helga Schröder jeder
zeit und überall erkennen – an ihrer Mach-Art, an der Farbgebung, an ihrem Stil, der Mischtechnik, aber auch an ihren Themen, an den Gedichtzeilen, Sätzen, denen sie nachgegangen ist über die Jahrzehnte hin, in denen sie unermüdlich gearbeitet und nun ihr achtundachtzigstes Buch fertiggestellt hat – jedes einzelne ein Unikat, das einen Text deutet, ohne ihn je zu illustrieren.
Ich lernte Helga Schröder in den achtziger Jahren mit der Kassandra-Mappe kennen, die mich zwang und es mir möglich machte, mich mit diesem anderen künstlerischen Beitrag zu einem, wie ich dachte, »eigentlich« literarischen Thema auseinanderzusetzen, mich auf die andere Sensibilität einzulassen, die mit Zeichen, Strichen und Farben ein Zentrum umkreist, in dem für mich das Wort stand: diese andere Zeichen-Setzung als Ergänzung zu sehen, als Zu-Satz zum Wort. Schrift-Räume, Schrift-Tafeln geben schon in der Titelnennung den Impuls zu erkennen, dem sie sich verdanken. Ich möchte glauben, daß
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