Rede, dass ich dich sehe
fernzuhalten. In der Politik wird etwas gerne dann zum Bösen erklärt, wenn es droht, uns mit eigenen, inneren Widersprüchen zu konfrontieren. Ro
nald Reagans Erklärungen vom »Reich des Bösen« waren auch eine Antwort auf die Konvergenztheorien der siebziger Jahre, eine Reaktion auf Jahre der friedlichen Koexistenz, auf die Gefahr, dringend benötigte Feindbilder zu verlieren.
BZ : Vor ein paar Wochen ist das Böse gefaßt worden …
Wolf: Der Böse.
BZ : Hatten Sie jemals das Gefühl, Saddam Hussein sei das personifizierte Böse, ein Wiedergänger Hitlers, wie Hans Magnus Enzensberger beim ersten Golfkrieg schrieb?
Wolf: Meine Erfahrung sagt mir, daß die Dämonisierung von Menschen oder Staaten eher verhindert, menschenfeindliche Systeme wirksam zu bekämpfen, auch, weil sie den Anteil der eigenen Seite an dem Unheil in dieser Welt zudeckt. Es hat keinen Sinn, das Böse immer nur bei den anderen anzusiedeln. Dieser klägliche Mensch, der jetzt in einem Erdloch gefaßt wurde, soll das die Inkarnation des Bösen sein?
BZ : Nach dem Sieg des Guten.
Wolf: Nach dem Sieg des Guten wird aus dem Bösen die Luft rausgelassen. Als ich die Bilder von der Gefangennahme Saddam Husseins im Fernsehen sah, war ich zunächst überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß er sich so einfach würde gefangennehmen lassen. Das war mein erster Gedanke. Dann überlegte ich, ob es recht war, ihn so gedemütigt zu zeigen. Natürlich habe ich verstanden, daß man zeigen wollte, zeigen mußte, daß man ihn wirklich gefangen hatte, und es war wichtig, auch die Umstände zu zeigen, wie man seiner habhaft geworden war. Aber dann war es auch genug, fand ich und habe den Fernseher abgeschaltet.
BZ : Sie sagen: Wir wollen das Böse nicht wahrhaben. Haben Sie es bei sich wahrgenommen?
Wolf: Jedenfalls habe ich mich nie für eine Inkarnation »des Guten« gehalten, dazu waren und sind meine Selbstzweifel zu stark. Ein Tag im Jahr macht das wohl sehr deutlich. Ich begriff ziemlich früh, daß bestimmte Grundeigenschaften nicht von Natur aus »gut« oder »böse« sind. Nehmen Sie meine Bindungs
fähigkeit, meine Bindungsbereitschaft, ja meine Bindungsfreudigkeit. Ich bin froh, daß ich sie habe. Sie ist eine Grundlage meines Lebens und meines Schreibens. Aber sie hat mich auch manchmal fehlgeleitet, und zur Bindungsfreudigkeit gehört, daß es lange dauert, vieler Erfahrungen – auch Leseerfahrungen – bedarf, um mich wieder von unproduktiven Menschen und Ideen zu lösen.
BZ : Wieso ist Ihre Bindungsfreudigkeit die Grundlage Ihres Schreibens?
Wolf: Jeder Schriftsteller, jeder Künstler, jeder Mensch ist anders. Wir alle nehmen uns ernst. Wir sind uns wichtig. Unsere eigenen Erfahrungen sind das Material, aus dem wir schöpfen. Aber es gibt auch eine Ich-Fixiertheit, die unfähig macht, andere in dieses Ich mit aufzunehmen. Man trifft bei Künstlern nicht selten einen ausgeprägten Narzißmus. Es ist kein Urteil dabei, wenn ich das sage. Bei mir ist es eben so, daß das Schreiben in mein Alltagsleben integriert ist. Davon handelt ja Ein Tag im Jahr über weite Strecken. Ohne die Bindungen an meinen Mann, die Familie, an das Umfeld im engeren und weiteren Sinne könnte ich nicht schreiben. Sie fordern viel Zeit und produzieren auch eine Menge Konflikte. Aber ohne diese Reibeflächen würde bei mir nichts entstehen. Alle meine Bücher sind aus Konflikten entstanden. Das setzt voraus, daß überhaupt die Möglichkeit zu Konflikten da ist. Daß man einander nicht gleichgültig ist. Das brauche ich, zum Leben und also auch zum Schreiben. Simone de Beauvoirs Satz »Eine Frau, die schreibt, soll keine Kinder haben«, habe ich niemals unterschrieben, könnte ich niemals gutheißen.
BZ : Ihre Bücher haben für viele Ihrer Leserinnen und Leser auch eine therapeutische Funktion. Es ist Ihre Begabung zur Visualisierung. Die Intensität, mit der Sie den Schmerz und den Schrecken der Todesnähe zum Beispiel in Leibhaftig schildern, erlaubt dem Leser, erlaubt mir, mich dieser Gefahrenzone probeweise zu nähern. Ich kann gewissermaßen Antikörper bilden.
Wolf: Leser sagen mir oft, daß dieses oder jenes meiner Bücher ihnen in einer Lebenskrise geholfen habe. Mir geht es mit Büchern anderer Autoren auch so. Jeder, der liest, versteht das, weil er ähnliche Erfahrungen gemacht hat.
Beim Schreiben suche ich aber nicht zuerst nach dem Bild, sondern nach einem Ton. Bei Kassandra zum Beispiel habe ich
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