Rede, dass ich dich sehe
von innen nach außen, nicht umgekehrt.
Nun gut, sage ich. Ein Kunstwerk ohne Geheimnis ist ja kein Kunstwerk. Aber auf eines müsse ich noch zu sprechen kommen: Mir gefalle es außerordentlich, daß er die Personen auf diesen Blättern »Gäste« nenne, »die auf den Collagen zu mir kommen«. Was ja heiße, daß er sie mit Respekt behandle und nicht etwa vereinnahme. Das bringe sie mir nahe, sage ich. Behutsam herbeigerufen, erscheinen sie freundlicherweise auf dem Papier und könnten auch wieder gehen. Das ist nichts Mystisches. Wir alle sind ja umgeben von Strömen von Energie, von Energiefeldern, wir selbst sind materialisierte Energie, der Künstler ist das Medium, er spannt ein Energienetz auf und fängt, wenn er die entsprechende Wellenlänge trifft, eben jene »Gäste« auf. Sie gehen ihm ins Netz, ohne daß er ihnen Gewalt antut. Ich will dir gestehen, sage ich, daß die Seltsamkeit, auch Fremdheit dieser Köpfe mich manchmal an Außerirdische denken läßt.
Für mich, sagt Martin Hoffmann, sind das keine Extraterre
strischen. Er sehe den Prozeß des Machens anders, sachlicher, nüchterner. Durchaus sei er auch mit Kunstroutine verbunden, mit Kunstverstand, erfordere andauernd einen künstlerischen Entschluß, sei also professionell.
Ich bin davon überzeugt, sage ich, sonst wäre es laienhaft und das Ergebnis wahrscheinlich unerträglich. Trotzdem behalten die Blätter eine Spontaneität.
Etwas sei ihm noch wichtig, sagt Martin Hoffmann: Er wolle bei der Gestaltung der Augen jedwede Melancholie vermeiden. Die würde sich ganz leicht einschleichen, wenn er nicht sehr darauf achte, daß dies nicht passiert.
Ich verstehe sofort, was er meint. Melancholie könnte ein Zugeständnis an eine gängige Mode sein. Diese Köpfe haben keinen Hauch von Beliebigkeit, die Versuchung, sich dem anpasserischen Zeitgeist zu ergeben, hat sie nicht gestreift. Eben deshalb, eben dadurch sind sie authentisch.
2008
Zwiegespräch mit Bildern von Ruth Tesmar
Liebe Ruth Tesmar,
Sie haben mir einmal – 1999 – auf eines Ihrer Blätter ein Novalis-Zitat geschrieben: »Alles Sichtbare haftet am Unsichtbaren, das Hörbare am Unhörbaren, das Fühlbare am Unfühlbaren. Vielleicht das Denkbare am Undenkbaren.«
Ich glaube, diese Sätze drücken Ihre Ästhetik aus. Mit Ihren zauberhaften Blättern bewegen Sie sich am Rande dessen, was man gemeinhin »Realität« nennt, und ebenso am Rande des Nichtrealen, in jenem wunderbaren Zwischenreich, das uns neue innere Räume erschließt, die sprachlich nicht zu fassen sind, auch wenn sie von der Sprache der Dichter ausgehen. Der Betrachter muß sich seinen Assoziationen überlassen, den Zeichen folgen, mit denen Sie ihn hinführen in eine Beziehungswelt, zu Ihrer Begegnung mit der von Ihnen geliebten Poesie, zu von Ihnen verehrten Gestalten.
Einmal – das war 2004 – ging ich durch Räume einer Ausstellung, die Sie »Zwiegespräch« nannten und mir gewidmet hatten. Die Namen großer Dichter leuchteten auf. Zu Ihrer Aneignung der Dichter gibt es keinen Vergleich, scheinbar leichthändig überwinden Sie die Schranken der Gattungen, zart und behutsam umspielen Sie mit Ihren eigen-artigen Farben, nehmen unsere Sinne gefangen.
Ihre Blätter zu Medea eröffnen mir einen anderen Blick auf die Figur, ziehen mich in einen Dialog mit Ihnen. Vor mir liegt Ihr Blatt – richtiger: Ihr Karton – mit dem Buchengel , den Sie mir zu meinem achtzigsten Geburtstag schenkten. Auf feinziseliertem, mit Farbe übermaltem Untergrund ragt aus einem gefalteten Manuskript eine spitze Feder. Mit einem Engel hatte ich es ja auch in meinem letzten Buch zu tun. – Es ist wohl
so, daß wir Beistand aus dem Zwischenreich brauchen, wenn wir an unsere merkwürdige Arbeit gehen.
Ihre
Christa Wolf
2010
Ruth Tesmar, Für Christa Wolf . Collage. 2009
Günther Ueckers Bilder aus Asche
»Welche Gründe waren es, die den Menschen bewahrten in seiner Lebens- und Zerstörungsgeschichte? So wie viele meiner Aschebilder nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl entstanden. Als ich alphabetisch nicht mehr mitteilen konnte, was mich da berührte, ich auswich und dachte, wenn ich ganz einfach versuche, das mit Bildern auszudrücken, gelingt es mir. Der ganze Zyklus der Aschemenschen ist eigentlich aus der Verzweiflung des gefährdeten Seins entstanden.«
Ein Mensch, der Künstler selbst, Günther Uecker, wirft sich in ein Aschefeld, hinterläßt, wenn er aufsteht, einen Negativabdruck, eine »Leerstelle«,
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