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Rede, dass ich dich sehe

Rede, dass ich dich sehe

Titel: Rede, dass ich dich sehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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deren Umriß durch Asche erzeugt wird: »Das bin dann auch ich.« Sich rückhaltlos bloßstellen, anders kann ein Mann wie Uecker der Gewalt dieser Frage: Bleibt der Planet bewohnbar für uns Menschen?, nicht begegnen. Durch Handeln Authentizität erzeugen. Seine Aschebilder rufen Assoziationen zu den unheimlichen Schatten hervor, die die Bombe von Hiroshima aus Menschen von Fleisch und Blut machte.
    »Asche ist aus einer materiellen Umwandlung durch das Feuer entstanden« – das ungebändigte »Feuer« eines Atomreaktors, ein Unfall, der wie weniges sonst den aufs äußerste gefährdeten Zustand unserer Zivilisation signalisierte. Günther Uecker hat sich lange schon mit den »tiefen Fragen« unserer Existenz auseinandergesetzt, erregt, erschüttert, obsessionell. Diese Arbeit – oft schweres körperliches Hand-Werk, wie das Einschlagen Hunderter von Nägeln – ist ihm lebensnotwendig, in der direkten Bedeutung dieses Wortes. Es ist seine Art, Stellung zu nehmen.

    Günther Uecker, Aschemensch Antwerpen . Asche und Leim,
Graphit auf Leinwand. 1987
    Er ist besessen von der Frage nach dem Ursprung unseres Zerstörungstriebs. Einmal hat er doch zu einer »alphabetischen« Mitteilung gegriffen, indem er eine fast lückenlose Rei
hung der zerstörerischen Verben aufstellte, die sich auf den »geschundenen Menschen« beziehen und ihn bedrohen. »Einäschern« ist, soviel ich sehe, nicht darunter. Auch »verstrahlen« nicht – neu erfunden, uns umzubringen.
    Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Asche ist in unserer Kultur eine Metapher für Vergänglichkeit. Auch für Reue: Asche aufs Haupt streuen. Der Geschmack von Asche auf der Zunge erinnert an Tod, erzeugt Trauer, Melancholie. Nicht, jedenfalls nicht bei Günther Uecker, Resignation, Selbstaufgabe. Paradoxerweise, so scheint es, stellt er mit seinem Aschezyklus die Frage: »Kann Fruchtbarkeit auf Asche gründen?« Darauf antwortet er mit seinem Werk, das den Widerspruch, in dem er lebt, ausdrückt und den Künstler befähigt, ihn auszuhalten.
    »Phoenix aus der Asche«, ein gängiges Bild: der Vogel Phoenix, der nur alle fünfhundert Jahre erscheint, der sich aus wohlriechenden Hölzern ein Nest baut und sich selbst verbrennt, dann aber, weil er seinem Nest Zeugungskraft verlieh, aus der Asche wieder aufersteht. Ein alter abendländischer Mythos, ein Symbol für Ewigkeit. Können wir hoffen, daß die Asche aus unserer Selbstverbrennung Zeugungskraft behält? Fünfhundert Jahre können wir nicht warten. Die Diskussion um meinen Text Störfall , der demselben Anlaß geschuldet ist wie Günther Ueckers Aschebilder, ist auf bedrückende Weise immer noch aktuell: Wir lassen Zeit verstreichen, die wir für tiefgreifende Änderungen unserer Lebensweise nutzen müßten. Ich bin froh, daß zwei Zeugnisse für den Schock, den Tschernobyl damals auslöste – ein »alphabetisches« und ein bildnerisches –, in diesem Buch zusammenstehen und zum Dialog auffordern.
     
    2010

5.

     

»Wir haben die Mephisto-Frage nicht einmal gestellt«
    Gespräch mit Arno Widmann
    Berliner Zeitung:  Frau Wolf, ist die Mephisto-Frage inzwischen geklärt?
    Christa Wolf:  Wie bitte?
    BZ :  Sie erinnern sich an den Wortwechsel zwischen Walter Ulbricht und Anna Seghers?
    Wolf:  O ja. Ulbricht hatte nach einem »sozialistischen Egmont«, einem »sozialistischen Faust« verlangt. Anna Seghers hatte ihm geantwortet: »Egmont, das mag ja angehen, aber Faust, was machen wir mit Mephisto?« Ulbricht zögerte einen Moment lang und antwortete dann: »Die Frage Mephisto, Genossin Anna, werden wir auch noch lösen.«
    BZ :  Wurde sie gelöst?
    Wolf:  Wir haben sie nicht einmal gestellt. Keine moderne Gesellschaft stellt sich diese Frage. Dazu müßte sie sich selbst in Frage stellen. In früheren christlichen Gesellschaften war der Teufel allgegenwärtig. Seit wir keinen Gott mehr brauchen, haben wir auch den Teufel zum Teufel geschickt. Wir projizieren, ob wir das wissen oder nicht, eigene, innere Strebungen, die uns unheimlich sind, nach außen. Wir wollen »das Böse« nicht wahrhaben, nicht bei uns. Mich verblüfft immer das große öffentliche Erstaunen, wenn ein Schüler ein Massaker veranstaltet oder ein Mann des Kannibalismus überführt wird. Dann erscheint das Böse plötzlich als große Überraschung in unserer Mitte. Das Böse ist doch immer das Andere. Da, wo es uns spektakulär gegenübertritt, da sehen wir es plötzlich, versuchen aber, es durch Abscheu von uns

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