Reden ist Silber, Kuessen ist Gold
unterdrückte Gefühle erwachten und streckten sich. Sie pressten gegen die Wände ihres Herzens, als ob sie auf der Suche nach Licht und der Möglichkeit zu wachsen waren.
Wieder Gefühle für Mitch zulassen? Alles riskieren?
Der Gedanke war so aufregend wie Furcht einflößend. Das war eine gefährliche Straße, die sie da betreten würde. Sie musste Rücksicht auf Erin nehmen und auf alles, was gerade in ihrem Leben passierte. Sie konnte sich nicht sicher sein, wo er mit seinem Herzen war, und außerdem hatten sie sich beide in den letzten Jahren sehr verändert.
Sie löste sich aus der Umarmung und zog sich schnell an.
»Ich sehe dich auf der Party«, sagte Mitch.
» Party? Welche ... oh. « Die Party, zu der sie ihn gebeten hatte zu kommen. Weil er ihr helfen wollte. Er war auf ihrer Seite.
»Ich bin diejenige, die dafür sorgt, dass alles reibungslos abläuft.« Sie lächelte, als ob ihr Innerstes nicht immer noch zittern würde. Als ob sie nicht mehr Angst hätte als je zuvor in ihrem Leben.
Sie konnte Mitch ihr Herz nicht zurückgeben. Es hatte sie beinahe die gesamten neun Jahre gekostet, über ihn hinwegzukommen. Wenn sie sich wieder in ihn verliebte und verletzt würde, würde sie vielleicht niemals wieder ganz werden.
Mitch stand in der Mitte des Therapieraums und beobachtete, wie die anderen Patienten an ihren Problemen arbeiteten. Es gab viel Schweiß und Flüche und natürlich die eine oder andere Träne. Aber jeder von ihnen schien Fortschritte zu machen.
Vor drei Wochen war er mit seiner Prothese herumgelaufen. Nun mühte er sich mit den elendigen Krücken ab und hasste jede Minute davon. Hasste es genug, um endlich zu tun, was ihm gesagt wurde.
Die Rezeptionistin, eine junge Frau in einem T-Shirt mit tanzenden Teddybären, lächelte ihn an. »Mitch Cassidy?«, fragte sie. »Joss erwartet Sie schon.« Sie nahm eine Karteikarte auf. »Wenn Sie mir bitte in den Untersuchungsraum folgen mögen.«
Er humpelte ihr hinterher den langen Flur entlang. Sie öffnete die Tür und wartete, bis er eingetreten war, bevor sie ihm noch ein Lächeln zuwarf und sich dann entfernte.
Keine zwei Minuten später kam Joss herein. Er blätterte in einer Krankenakte. »Ohne Überweisung von Ihrem Arzt können Sie hier nicht behandelt werden«, sagte er, ohne von den Papieren aufzusehen.
Mitch zog die Überweisung aus seiner Hosentasche und reichte sie ihm.
»Woher weiß ich, dass es keine Fälschung ist?«, fragte Joss.
Mitch lachte. »Weil ich so dumm nun auch wieder nicht bin. Sie können aber gerne bei meinem Arzt anrufen und nachfragen.«
»Sie können Ihren Arsch darauf verwetten, dass ich genau das tun werde. Und er sagt mir besser, dass Sie bereit sind, es erneut mit der Prothese zu versuchen, oder ich breche Ihnen Ihr anderes Bein.«
Mitch setzte sich auf den Untersuchungstisch und zog die Krücken neben sich, bevor er sein Hosenbein aufrollte.
»Haben Sie noch starke Schmerzen?«
Mitch wollte die Prothese nahezu verzweifelt wiederhaben, aber er wusste, dass er sich ändern musste, wenn er gesund bleiben wollte.
»Manchmal«, gab er zu. »Mehr ein Ziehen als ein scharfer Schmerz.«
»Hm-hm.« Joss massierte den Stumpf. »Machen Sie die Übungen, die ich Ihnen gemailt habe?«
»Zweimal am Tag.«
»Sind Sie bereit, so oft zur Therapie zu kommen, wie ich es Ihnen sage?«
Mitch wusste, dass er keine Wahl hatte. »Ja.«
Joss richtete sich auf. »Was ist mit der Gruppentherapie? Wollen Sie es sich mit einer Gruppe von Fremden ganz kuschelig machen und danach einen Baum umarmen?«
Mitch brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Muss ich den Baum umarmen?«
»Ist das ein Ja?«
Er nickte. »Das ist ein Ja.«
»Kluge Antwort.«
Joss verließ den Untersuchungsraum und kam ein paar Minuten später mit der Prothese in der Hand wieder. Der neue Schaft sah anders aus.
»Ich habe ein bisschen was verändert«, erklärte Joss, während er ihm die Prothese reichte. »Es sollte jetzt bequemer sein. Trotzdem will ich, dass Sie es langsam angehen lassen. An den ersten Tagen nicht länger als eine halbe Stunde am Stück und dazwischen mindestens eine Stunde Pause. Wenn Sie das hier verbocken, Mitch, schwöre ich, dass ich Sie höchstpersönlich windelweich schlage.«
Die Wut ist noch da, dachte Mitch, als er das altvertraute Gefühl in sich aufsteigen fühlte. Der Unterschied war allerdings, dass er nicht mehr die Notwendigkeit verspürte, sie auch auszuleben. Ja, er war genervt. Und? Genervt sein hatte
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