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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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Trauer überlegte ich mir, daß das Rennen aus Daylights Sicht möglichst bald nach dem Start zu Ende sein mußte. Tausend Ferngläser waren auf uns gerichtet, Fernsehaugen und Kontrollkameras und sachkundige Reporter beobachteten mich genauestens. Unter diesen Bedingungen war es ohnehin schwer genug zu verlieren, und es war praktisch selbstmörderisch, wenn ich es hinauszögerte, bis klar war, daß Daylight gewinnen würde. Wenn ich in der letzten halben Minute ohne ersichtlichen Grund runterfiel, gäbe es eine Untersuchung, und ich konnte meine Lizenz verlieren; und es wäre kein Trost zu wissen, daß ich es verdient hatte.
    Der Starter legte die Hand an den Hebel, die Startbänder schnellten hoch, und ich trieb Daylight an. Keiner von den anderen Jockeys wollte die Pace machen, und folglich schlugen wir eine gemäßigte Gangart ein, was meine Sorgen erhöhte. Da Daylight alle Zeit der Welt hatte, würde er an keinem einzigen Hindernis stolpern. Er war schon immer ein eleganter Springer und stürzte so gut wie nie. Manche Pferde konnten beim Anreiten eines Hindernisses nie in die richtige Position gebracht werden, Daylight war in keine falsche zu bringen. Er akzeptierte nur ganz minimale Anweisungen von seinem Jockey, den Rest erledigte er selbst. Ich hatte ihn schon oft geritten. Hatte sechs Rennen auf ihm gewonnen. Kannte ihn gut.
    Das Pferd betrügen. Die Zuschauer betrügen.
    Betrügen.
    Verdammt noch mal , dachte ich. Verdammt, verdammt, verdammt.
    Ich machte es am dritten Hindernis. Dort ging es von der Hügelkuppe abwärts in die scharfe Kurve, weg von den Tribünen. Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit war es die bestmögliche Stelle, weil sie von den Zuschauermassen am schlechtesten zu übersehen war und man sich dem Hindernis über ein starkes Gefälle näherte – einem Hindernis, das jedes Jahr seine Opfer forderte.
    Daylight war verwirrt, weil er die falschen Hilfen von mir bekam, vielleicht auch, weil er auf telepathischem Wege, wie Pferde das an sich haben, etwas von meinem inneren Aufruhr und meiner Wut spürte, und kam leicht aus dem Schritt, bevor er abdrückte, machte einen kleinen ruckartigen Schritt zuviel.
    Mein Gott, Junge, dachte ich, tut mir schrecklich leid, aber jetzt gehst du runter, wenn ich dich dazu bringen kann. Ich trieb ihn im falschen Moment an, zerrte mitten im Sprung hart an seiner Gebißstange und verlagerte mein Gewicht nach vorn auf seine Schultern.
    Er kam ungünstig auf und stolperte leicht, senkte den Kopf, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Es war nicht hundertprozentig gelungen … aber es mußte reichen. Ich schwang den rechten Fuß aus dem Steigbügel und über seinen Rücken, so daß ich nur noch auf der linken Seite hing, aus dem Sattel, an seinen Hals geklammert.
    Es ist so gut wie unmöglich, in dieser Position oben zu bleiben. Ich hing noch etwa drei bockende Schritte an ihm, rutschte dann an seiner Brust hinunter, ließ endgültig los und knallte ins Gras zwischen seinen Beinen. Ein Hagel von Hufschlägen, ein, zwei Purzelbäume, und weg war der Lärm und das Getrappel der galoppierenden Pferde.
    Ich saß auf dem ruhigen Boden, schnallte meinen Helm ab und fühlte mich hundsmiserabel.
     
    »Pech«, sagten sie kurz und bündig im Waageraum. »Verdammtes Pech«, und weiter ging’s im Tagesablauf. Ich fragte mich, ob jemand was ahnte. Vermutlich nicht. Niemand stieß mich an oder zwinkerte mir zu oder grinste süffisant. Daß ich die Augen fast ständig gesenkt hielt, lag daran, daß ich mich selbst so schämte.
    »Kopf hoch«, sagte Steve Millace, während er seine orangeblaue Bluse zuknöpfte. »Ist doch kein Weltuntergang.« Er griff nach seiner Peitsche und seinem Helm. »Das nächste Mal läuft’s besser.«
    »Klar.«
    Er ging zu seinem Rennen, und ich stieg düster in meine Straßenkleidung. Das war’s dann also, dachte ich: aus und vorbei mit der Aufregung, in der ich hergekommen war. Aus und vorbei mit dem Sieg und dem halben Dutzend fiktiver Trainer, die sich gegenseitig über den Haufen rannten, um mich für den Gold Cup zu verpflichten. Aus und vorbei mit der hübschen Aufbesserung meiner Finanzen, die etwas im argen lagen, nachdem ich mir ein neues Auto gekauft hatte. Depression auf allen Ebenen.
    Ich ging hinaus, um mir das Rennen anzusehen.
    Steve Millace ritt sein Pferd mit mehr Mut als Verstand in einem die Beine verheddernden Tempo in das letzte Hindernis hinein und ging krachend zu Boden. Ein harter, schneller Sturz, von der Sorte, bei der

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