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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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leicht ein Knochen draufgehen kann, und man sah sofort, daß Steve in Not war. Er kämpfte sich auf die Knie und hockte dann auf seinen Fersen, mit gesenktem Kopf, die Arme um den Körper geschlungen, als würde er sich selbst umarmen. Arm, Schulter, Rippen … irgend etwas war hinüber.
    Sein Pferd stand auf und galoppierte unverletzt davon, und ich sah eine Weile zu, wie zwei Sanitäter Steve behutsam in einen Rettungswagen halfen. Auch für ihn ein schlechter Tag, dachte ich, wo er doch schon genug Probleme mit seiner Familie hatte. Was um alles in der Welt trieb uns dazu? Was brachte uns dazu durchzuhalten, allen Kränkungen, Enttäuschungen und Risiken zum Trotz? Was verlockte uns immer wieder zu rasender Geschwindigkeit, wo wir mit einem ruhigen Bürojob genausoviel verdienen konnten?
    Ich ging zum Waageraum zurück und spürte, wie sich an den Stellen meines Körpers, die Daylight traktiert hatte, die Blutergüsse verhärteten. Morgen würde ich rot und blau sein, aber das war ganz normal. Die Knüffe und Püffe meines Handwerks hatten mir nie viel ausgemacht, und meine diversen Brüche waren bislang nie so schlimm gewesen, daß ich vor dem nächsten Mal Angst hatte. Normalerweise hatte ich eigentlich das Gefühl, körperlich topfit zu sein, einen kräftigen, geschmeidigen Körper zu besitzen, ein leistungsfähiges, koordiniertes, athletisches Ganzes darzustellen. Nichts Weltbewegendes. Ich fühlte mich einfach so. Gesund.
    Desillusion wäre mein Untergang, dachte ich. Wenn der Job es nicht mehr wert war, wenn Leute wie Victor Briggs ihn bis zur Unerträglichkeit vermiesten, dann würde ich aufgeben. Aber noch nicht. Es war noch immer ein Leben nach meinem Geschmack; ein Leben, das ich noch lange nicht aufgeben wollte.
    Steve kam in den Umkleideraum, in Stiefeln, Reithose, Unterhemd, Rucksackverband und Armschlinge, den Kopf steif zu einer Seite geneigt.
    »Schlüsselbein«, sagte er verärgert. »So ein Mist.« Vor Schmerzen wirkte sein schmales Gesicht ausgemergelt, an den Wangen und um die Augen wie ausgehöhlt, aber sein vorherrschendes Gefühl war eindeutig Wut.
    Sein Bursche half ihm beim Umziehen, behutsam, wie es ihn langjährige Erfahrung gelehrt hatte, zog ihm vorsichtig die Stiefel aus, um die Schulter nicht zu erschüttern. Um uns herum drängelten sich die Jockeys, man sang, riß Witze, trank Tee und aß Früchtekuchen, schlüpfte aus dem Dress und zog Hosen an, lachte und fluchte und hatte es eilig. Feierabend, Ende einer Arbeitswoche, Montag ging’s weiter.
    »Sag mal, könntest du mich vielleicht nach Hause fahren?« sagte Steve zu mir. Es klang zögerlich, als wäre er sich nicht sicher, ob unsere Freundschaft so weit ging.
    »Warum nicht?« sagte ich.
    »Zum Haus meiner Mutter? Bei Ascot.«
    »O.k.«
    »Ich werde jemand organisieren, der morgen mein Auto holt«, sagte er. »Verdammter Mist.«
    Ich machte ein Foto von ihm und seinem Burschen, der ihm gerade den zweiten Stiefel auszog.
    »Was machen Sie eigentlich mit den ganzen Bildern?« sagte der Bursche.
    »In die Schublade legen.«
    Er verdrehte die Augen. »Zeitverschwendung.«
    Steve warf einen Blick auf die Nikon. »Mein Vater hat mal gesagt, er hätte ein paar Bilder von dir gesehen. Er hat gemeint, du würdest ihn noch mal arbeitslos machen.«
    »Er hat sich über mich lustig gemacht.«
    »Möglich. Kann sein. Weiß nicht.« Er schob langsam einen Arm in sein Hemd und ließ es sich von dem Burschen über dem anderen Arm zuknöpfen. »Aua«, sagte er zusammenzuckend.
    George Millace hatte einige Fotos gesehen, die ich im Auto gehabt hatte. Er hatte mich dabei ertappt, wie ich sie am Ende eines sonnigen Frühlingstages auf dem Parkplatz durchsah, während ich vor der Rennbahn auf einen Freund wartete, den ich mitnehmen wollte.
    »Ein richtiger kleiner Cartier Bresson«, hatte George mit einem leichten Lächeln gesagt. »Darf ich mal sehen?« Er hatte den Arm durch das offene Fenster gestreckt und den Stapel genommen, und weil ich mich nicht auf ein Tauziehen einlassen wollte, konnte ich ihn nicht daran hindern. »Schön, schön«, sagte er und sah sie sorgfältig durch. »Pferde in den Downs, aus dem Nebel auftauchend. Romantischer Mist.« Er gab sie zurück. »Nicht nachlassen, Junge. Vielleicht springt ja mal ein Foto dabei raus.«
    Er war quer über den Parkplatz davongegangen, die schwere Kameratasche geschultert, an der er von Zeit zu Zeit ruckte, um das Gewicht zu verlagern. Der einzige mir bekannte Fotograf, mit dem ich nicht

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