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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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zurechtkam.
    Duncan und Charlie hatten mir in den drei Jahren, die ich bei ihnen verbrachte, geduldig alles beigebracht, was ich lernen konnte. Ich war zwar erst zwölf, als ich bei ihnen abgeladen wurde, aber Charlie hatte gleich zu Anfang gesagt, daß ich den Fußboden wischen und die Dunkelkammer saubermachen könnte, wo ich nun mal da sei, und ich hatte es gern getan. Den Rest hatte ich mir nach und nach von Grund auf angeeignet, bis ich schließlich regelmäßig Duncans Abzüge und die Routinearbeit von Charlie machte. »Unser Laborassistent«, hatte Charlie immer gesagt. »Mischt unsere Chemikalien. Kann hervorragend mit der Spritze umgehen. Denk dran, Philip, nur 1,4 Milliliter Benzolalkohol.« Und ich zog dann die winzigen Mengen exakt auf die Spritze auf, gab sie in den Entwickler und hatte das Gefühl, daß ich vielleicht doch zu irgend etwas nütze war auf dieser Welt.
    Der Bursche half Steve in die Jacke und gab ihm Uhr und Brieftasche, und wir gingen in Steves behutsamer Gangart zu meinem Auto hinaus.
    »Ich habe meiner Mutter versprochen, ihr bei der Beseitigung der Sauerei zu helfen, wenn ich zurückkomme. Fehlanzeige.«
    »Sie hat doch bestimmt Nachbarn.« Ich half ihm in den modernen Ford und ging zur Fahrerseite hinüber. Startete in der aufkommenden Dämmerung den Motor, machte die Scheinwerfer an, und los ging’s Richtung Ascot.
    »Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, daß mein Vater nicht mehr da ist«, sagte Steve.
    »Wie ist es eigentlich passiert?« fragte ich. »Du hast gesagt, daß er gegen einen Baum gefahren ist.«
    »Ja.« Er seufzte. »Er ist eingeschlafen. Das nimmt man jedenfalls allgemein an. Kein anderes Auto weit und breit. Da war eine Kurve oder so was, und anstatt sie zu nehmen, ist er einfach gradeaus weitergefahren. Er muß den Fuß auf dem Gas gehabt haben … Das Auto war vorne völlig eingedrückt.« Er schauderte. »Er war auf dem Weg nach Hause, von Doncaster. Meine Mutter hat ihm immer davon abgeraten, nachts auf der Autobahn zu fahren nach einem langen Tag, aber er war gar nicht auf der Autobahn … Er war schon fast zu Hause …«
    Er klang müde und deprimiert, was er zweifellos auch war, und mit kurzen Seitenblicken konnte ich feststellen, daß die Erschütterungen des Autos trotz all meiner Vorsicht seiner Schulter weh taten.
    »Er hatte für eine halbe Stunde bei einem Freund hereingeschaut«, sagte Steve. »Und sie haben ein paar Whiskys getrunken. Es war alles so dumm. Einfach eingeschlafen …«
    Wir fuhren lange Zeit schweigend dahin, er mit seinen Problemen, ich mit meinen.
    »Letzten Samstag«, sagte Steve. »Vor einer Woche erst.«
    Eben noch am Leben, gleich darauf tot … so ging es jedem.
    »Bieg hier links ab«, sagte Steve.
    Wir bogen ein paarmal links und rechts und wieder links ab und landeten schließlich in einer Straße, die auf der einen Seite von einer Hecke gesäumt war und auf der anderen von hübschen Einfamilienhäusern in schattigen Gärten.
    Auf halber Höhe der Straße war irgend etwas los. Lichter und Leute. Ein Rettungswagen mit offenen Türen und rotierendem Blaulicht. Ein Polizeiauto. Polizisten. Ein ständiges hastiges Kommen und Gehen bei einem Haus. Aus allen Fenstern strömte Licht, alle Vorhänge waren zurückgezogen.
    »Mein Gott«, sagte Steve. »Das ist das Haus von Mutter und Vater.« Ich hielt davor an, und er blieb reglos sitzen, geradeaus starrend, wie gelähmt.
    »Meine Mutter«, sagte er. »Es ist bestimmt meine Mutter.« Die Stimme versagte ihm fast. Sein Gesicht war von panischer Angst verzerrt, und im Lichtschein wirkten seine Augen riesengroß und sehr jung. »Bleib hier«, sagte ich sachlich. »Ich schau nach, was los ist.«

3
    Seine Mutter lag auf dem Sofa im Wohnzimmer, zitternd und hustend und blutend. Jemand hatte seine Mutter übel zugerichtet: Nase, Lippen und ein Augenlid waren aufgeplatzt, und auf Wangen und Kinn sah man leuchtend rote Flecken, wo die Haut aufgeschürft war. Ihre Kleidung war stellenweise zerrissen, sie hatte keine Schuhe an und das Haar stand ihr in wilden Büscheln vom Kopf ab.
    Ich hatte Steves Mutter von Zeit zu Zeit auf der Rennbahn gesehen: eine sympathische, gutgekleidete Frau, Ende vierzig, wohlbehütet und glücklich in ihrem Leben, sichtlich stolz auf ihren Mann und ihren Sohn. In dieser gramgebeugten, ausgeraubten, zusammengeschlagenen Person auf dem Sofa war sie nicht wiederzuerkennen.
    Ein Polizist saß auf einem Stuhl an ihrer Seite, und eine Polizeibeamtin stand mit

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