Reflex
Sie hören?«
Ich sah zu Harold Osborne hinüber. Er beobachtete angelegentlich die Pferde, die im Ring herumtrotteten, und tat so, als hörte er nicht, was Victor Briggs sagte.
»Harold«, sagte ich.
Er warf mir einen kurzen, emotionslosen Blick zu. »Victor hat recht. Das Geld läuft auf der anderen Schiene. Du wirst uns ’ne ganze Stange kosten, wenn du gewinnst, also tu’s nicht.«
»Uns?«
Er nickte. »Uns. Genau das. Fall runter, wenn’s sein muß. Mach den zweiten, wenn du willst. Aber nicht den ersten. Kapiert?«
Ich nickte. Ich kapierte. Wieder in der alten Klemme, nach drei Jahren.
Ich ritt Daylight in lockerem Galopp zum Start, und wie früher siegte der Realismus über die Auflehnung. Wenn ich es mir mit dreiundzwanzig nicht leisten konnte, den Job zu verlieren, konnte ich es mit dreißig erst recht nicht. Ich war als Osbornes Jockey bekannt. Sieben Jahre war ich jetzt bei ihm. Wenn er mich rausschmiß, bekäme ich bei anderen Reitställen nur noch Kleinkram, wäre zweite Garnitur neben anderen Jockeys, auf der Einbahnstraße in Richtung Vergessen. Er würde der Presse nicht erzählen, daß er mich gefeuert hatte, weil ich nicht mehr auf Anweisung verlieren wollte. Er würde ihnen erzählen (mit Bedauern natürlich), daß er sich nach jemand Jüngerem umsähe … tun müsse, was im Sinne seiner Besitzer war … schrecklich traurig, aber einmal sei jede Jockey-Karriere zu Ende … natürlich tue es ihm leid und so weiter, aber die Zeit bleibe nicht stehen, das wisse doch jeder.
Verdammt noch mal, dachte ich. Ich wollte dieses Rennen nicht verlieren. Ich haßte Betrug … und mit den zehn Prozent würde ich diesmal eine ordentliche Summe verlieren, was meine Wut noch schürte. Warum zum Teufel zog Briggs nach so langer Zeit wieder diese Masche ab? Ich hatte gedacht, er hätte damit Schluß gemacht, weil ich es als Jockey bei ihm schon so weit gebracht hatte, daß er mit meiner Weigerung rechnen mußte. Ein Jockey, der auf der Gewinnerliste so weit oben stand, war gegen derartigen Druck gefeit, weil er jederzeit bei einem anderen Rennstall unterkommen konnte, wenn sein eigener so dumm war, ihn zu feuern. Vielleicht dachte Briggs, ich sei über dieses Stadium hinaus, weil ich jetzt älter war und damit wieder in der Gefahrenzone – und er hatte recht.
Wir gingen im Kreis, während der Starter die Namen aufrief, und ich sah mir beunruhigt die andern vier Pferde an, die gegen Daylight antraten. Es war nicht ein gutes darunter. Wenn alles mit rechten Dingen zuging, konnte nichts meinen kraftvollen Wallach am Sieg hindern; und genau aus diesem Grund setzten die Leute jetzt vier Pfund auf Daylight.
Vier zu eins, die Wette läuft …
Weit davon entfernt, sein eigenes Geld bei dieser Quote aufs Spiel zu setzen, hatte Victor Briggs auf irgendwelchen zwielichtigen Wegen Wetten von anderen Leuten angenommen, die er auszuzahlen hatte, wenn sein Pferd gewann. Und Harold offenbar auch, und ihm gegenüber hatte ich gewisse Verpflichtungen, egal, wie mir zumute war.
Nach sieben Jahren beruflicher Zusammenarbeit, die enger war als zwischen Jockey und Trainer üblich, brachte ich ihm zwar keine warme, persönliche Zuneigung, aber doch freundschaftliche Gefühle entgegen. Er konnte entsetzlich wütend und überaus charmant sein, tief deprimiert und ausgelassen heiter, tyrannisch und großzügig. Mit seiner Stimme überschrie und überfluchte er jeden in den Berkshire Downs, und zartbesaitete Stallburschen verließen reihenweise seinen Stall. Als ich das allererste Mal für ihn ritt, posaunte er seine vernichtende Meinung über meine Reitkünste so lautstark heraus, daß man es von Wantage bis Swindon hören konnte, und kurz darauf öffnete er dann in seinem Haus um zehn Uhr morgens eine Flasche Champagner, und wir tranken auf unsere zukünftige Zusammenarbeit.
Er hatte mir jederzeit vollständig vertraut und mich gegen Kritik verteidigt, was manch ein Trainer nicht getan hätte. Jeder Jockey hat Pechsträhnen, hatte er gepoltert, und mich ohne Unterbrechung durch meine Tiefs hindurch beschäftigt. Für ihn stand außer Frage, daß ich mich ihm und seinem Rennstall hundertprozentig verpflichtet fühlte, und in den letzten drei Jahren war das leicht gewesen.
Der Starter rief die Pferde an die Startlinie, und ich lenkte Daylight herum, bis seine Nase in die richtige Richtung zeigte.
Keine Startboxen. Sie waren bei Hindernisrennen nicht üblich. Statt dessen gab es elastische Startbänder.
Voll kalter wütender
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