Reflex
Klar?«
»Verstehe«, sagte ich.
Seine Worte und sein Gehabe standen dermaßen im Gegensatz zu seiner Aufmachung, daß das ganze Unternehmen mir reichlich unwirklich vorkam. Es paßte wahrlich nicht zu einem vielbeschäftigten Filmproduzenten (ob er nun Schnüffel-Partys mit Kokain versorgte oder nicht), wie ein Landjunker herumzulaufen, und nicht zu einem tweedtragenden Landjunker, die Vokale zu vernuscheln und die Konsonanten zu verschlucken. Das ›klar?‹, das er so gern benutzte, wurde ohne das abschließende ›r‹ ausgesprochen.
Ich fragte mich, warum er keinen eigenen Fotografen mitgebracht hatte, wenn er Publicity-Fotos brauchte, und sprach ihn darauf an.
»Stimmt«, sagte er. »Ich hatte einen organisiert. Aber der ist gestorben. Danach habe ich die Sache aus den Augen verloren. Wie ich Sie heute gesehen habe, ist es mir wieder eingefallen. Hab die Pressefotografen gefragt. Nichts drin. Hab an Sie gedacht, klar? Hab sie ausgefragt über Sie. Haben gemeint, daß Sie gut sind, daß Sie’s bringen könnten. Vielleicht sind Sie ’ne Niete. Wenn Ihre Bilder nichts taugen, kauf ich sie nicht, klar?«
Er schnaufte über die Rennbahn bis zum Ziel am anderen Ende, und ich fragte ihn, welcher Fotograf gestorben war.
»Bursche namens Millace. Kennen Sie den?«
»Ich habe ihn gekannt«, sagte ich.
»Er hat gesagt, er würde es machen. Ist bei einem Autounfall gestorben. So, da wären wir. Beeilung. Nehmen Sie auf, was Sie wollen. Sie haben doch einen Farbfilm drin?«
Ich nickte, und er nickte und wandte sich ab, um seiner Mannschaft Anweisungen zu geben. Sie hörten ihm wieder mit leicht zur Seite gedrehten Köpfen zu, und ich entfernte mich. Lance Kinship war nicht der Typ, den man auf Anhieb mochte, aber ich hatte erneut stark den Eindruck, daß seine Mannschaft eindeutig unzufrieden war. Fotos, die diese Haltung offenbarten, würde er auf keinen Fall kaufen, dachte ich trocken, also wartete ich, bis die Truppe ihn nicht mehr ansah, und lichtete sie bei ihrer Arbeit ab.
Lance Kinships Atmung normalisierte sich, und er verschmolz wieder mit dem Rennbahn-Ambiente, als wäre er dort hineingeboren. Im Grunde seines Herzens ein Schauspieler, dachte ich; aber im Gegensatz zu einem Schauspieler spielte er seine Rolle im wirklichen Leben, was sonderbar erschien.
»Was für einen Film machen Sie?« fragte ich.
»Probeaufnahmen«, sagte er wenig mitteilsam. »Hintergrund.«
Ich gab es auf und umkreiste das Team, um brauchbare Blickwinkel ausfindig zu machen. Die Pferde kamen auf die Rennbahn, absolvierten den Aufgalopp, und der kraushaarige Knabe mit der Klappe, der zufällig neben mir stand, sagte plötzlich unerwartet heftig: »Man könnte meinen, er ist Gott der Allmächtige. Man könnte meinen, wir drehen hier einen Monumentalfilm, so wie der sich aufführt. Wir machen Werbespots. Halbe Sekunde auf der Leinwand und schon vorbei. Ha!«
Ich schmunzelte. »Was für ein Produkt?«
»Irgendein Brandy.«
Lance Kinship kam auf mich zu und erklärte mir, es sei wichtig, daß er auch auf die Fotos käme, und ich solle sie so aufnehmen, daß er deutlich zu sehen sei.
Der kraushaarige Knabe zog verstohlen eine Fratze, und ich versicherte Lance Kinship mit zitternden Lachmuskeln, aber festen Blicks, daß ich mein Bestes tun würde.
Glücklicherweise gelangen mir auch ein, zwei brauchbare Bilder, aber zweifellos hätte mich George Millace mit seinem inneren Auge und seiner motorisierten Kamera bei weitem übertroffen. Lance Kinship gab mir eine Visitenkarte mit seiner Adresse und sagte mir noch einmal, daß er die Bilder nur kaufen würde, wenn sie ihm gefielen. Klar?
Einen Preis nannte er nicht, und ich hatte keine Lust zu fragen.
Aus mir würde nie ein Geschäftsmann werden.
Wenn ich vom Fotografieren leben müßte, dachte ich kummervoll, würde ich innerhalb einer Woche am Hungertuch nagen.
Zu Hause knipste ich das Licht an, zog die Vorhänge zu, setzte mich an den Küchentisch und ging erneut George Millaces Abfallschachtel durch, dachte an sein Talent und seine Gefühllosigkeit und fragte mich, was er wohl an seinen tödlichen Fotos verdient hatte.
Es stimmte, daß ich jedes weitere Bild, das sich vielleicht noch in der Schachtel befand, entschlüsseln wollte. Der Drang, die Rätsel zu lösen, war übermächtig. Aber was sollte ich damit anfangen, wenn ich hinter weitere Geheimnisse kam … und was sollte ich mit denen machen, die ich bereits kannte?
Typischerweise beschloß ich, einfach nichts zu
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