Reflex
vielleicht …«
Sie unterbrach mich mit einem Kopfschütteln. »Wir brauchen professionelles Material. Tut mir leid. Aber mein Chef meint, wenn es Ihnen recht ist, könnten wir ja mal bei Ihren Schuppen oder was auch immer vorbeikommen, falls Sie uns mit einigen Angaben und allgemeinen Informationen helfen wollen.«
»Ja … mach ich gern.«
»Toll.« Sie beglückte mich mit einem plötzlichen Lächeln, das eher einem kräftigen Schulterklopfen glich als einer Freundschaftserklärung. Sie weiß, daß sie klug ist, dachte ich. Sie ist es gewohnt, klüger zu sein als die meisten anderen. Es gelingt ihr nicht so gut wie Jeremy Folk, zu verbergen, daß sie es weiß.
»Können wir Freitag kommen?« sagte sie.
10
Als ich am nächsten Tag, also am Mittwoch, auf der Rennbahn in Newbury ankam, zog Lance Kinship an der Spitze eines Gefolges von Kameraleuten, Tontechnikern und sonstigem Fußvolk durch die Gegend. Im Umkleideraum erfuhren wir, daß er mit dem Segen der Rennbahnleitung Probeaufnahmen für einen Film machte, und daß man von uns Jockeys Entgegenkommen erwartete. Wir brauchten nicht unbedingt bei jeder Gelegenheit in die Kamera zu grinsen, aber wir sollten darauf achten, die Leute nicht über den Haufen zu rennen, wenn sie uns zwischen die Beine kamen.
Ich hängte mir unter meinem Regenmantel die Nikon um den Hals und machte unauffällig ein paar Aufnahmen von dem Filmteam.
Eigentlich waren Kameras bei Rennen nicht erwünscht, es sei denn in den Händen anerkannter Fotografen, aber auf den meisten Rennbahnen störte man sich nicht weiter daran, wenn die Zuschauer Schnappschüsse machten, solange es nicht im Mitgliederbereich geschah. Da ich schon so lange fotografierte, ließen die meisten Rennplatzleiter mich großzügig gewähren. Nur in Royal Ascot gab es ein striktes Verbot für Amateurfotografen. Es war der einzige Ort, wo die Leute ihr Schießgerät am Eingang abliefern mußten, wie Revolverhelden, die in eine kugelfreie Stadt einritten.
Lance Kinship sah aus, als hätte er sich mit aller Kraft bemüht, nicht wie ein Filmregisseur auszusehen. Statt seiner olivgrünen Wildlederjacke, aus der vermutlich gerade in der Reinigung die Blutflecken entfernt wurden, trug er einen bräunlichen Tweedanzug, gekrönt von einem braunen Filzhut, den er in einem altmodischen Winkel aufgesetzt hatte, dazu ein kariertes Hemd, eine dezente Krawatte und ein Fernglas. Ich fand, er sah aus, als hätte er sich als Edelkomparse für seinen eigenen Film besetzt.
Er dirigierte seine Truppe mit wichtigtuerischer Stimme und unentschlossenen Gesten. Daß er überhaupt Autorität besaß, sah man nur an der Anspannung, mit der die Leute ihm zuhörten und ihm jedesmal, wenn er sprach, die Augen zudrehten. Ich machte ein paar Aufnahmen von diesem Phänomen: abgewandte Köpfe, die die Augen nach ihm verdrehten. Mir ging durch den Kopf, daß diese Bilder veranschaulichen könnten, wie Leute jemandem gehorchen, den sie nicht leiden können.
Bei den Sattelboxen, wo das Team filmte, wie die Trainer vor dem ersten Rennen die Sättel festschnallten, sah sich Lance Kinship dann genau in dem Moment um, als ich abdrückte, und starrte in meine Linse.
Er schlenderte zu mir hinüber und sagte ärgerlich: »Was machen Sie da?«, obwohl das ziemlich offensichtlich war.
»Ich seh mich nur um«, sagte ich harmlos.
Er musterte meine Stiefel, meine weißen Reithosen und mein rotgelbes Hemd, das ich unter dem Regenmantel trug.
»Ein Jockey«, sagte er wie zu sich selbst. Er beguckte sich durch seine schwarzgerahmte Brille meine Kamera. »Eine Nikon.« Er hob den Blick und runzelte die Stirn, weil ihm mein Gesicht irgendwie bekannt vorkam.
»Wie geht’s der Nase?« sagte ich höflich.
Er grunzte, als er mich endlich einordnen konnte.
»Passen Sie auf, daß Sie nicht ins Bild kommen«, sagte er. »Sie sind nicht typisch. Ich kann keine Jockeys brauchen, die eine Nikon mit sich rumschleppen, das versaut uns das Filmmaterial. Klar?«
»Ich paß schon auf«, sagte ich.
Er schien drauf und dran zu sein, mich wegzuscheuchen, blickte dann aber von einer Seite zur andern, stellte fest, daß ein paar Rennbahnbesucher zuhörten, und besann sich eines besseren. Mit einem kurzen mißbilligenden Nicken wandte er sich wieder seiner Mannschaft zu, und kurz darauf zogen sie weiter und machten sich daran, die gesattelten Pferde aufzunehmen, die in den Führring einliefen.
Der Chefkameramann trug seine große Filmkamera auf der Schulter und machte fast
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