Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
nur von Leuten, die irgendwie mit dem Literaturbetrieb verbandelt sind. Denen kann es keinen Spaß machen, die sind allein schon davon zu Tode genervt, dass sie das durchblättern müssen. Romane sind für die durch die Bank verkrampft, formlos und unoriginell, vor allem tschechische.“
„Und sind sie das?“
„Ja. Keine Handlung, es geht nichts weiter, keine Dynamik, sie bestehen im Prinzip nur aus Absonderungen von Gefühlen. Die Kritiker geben den Autoren dann wieder zu verstehen, dass sie sich ihr Scheiß-Ego endlich sonst wohin stecken sollen, und Recht haben sie. Aber warum wird nun so viel veröffentlicht und übersetzt? Wie kommt’s, dass so viele Leute von Stiftungen leben, von Fonds, von Geld aus ziemlich verdächtigen Quellen?“
„Von dir haben sie doch auch was übersetzt, oder?“
„Immer nur das
Pinguinhaus
, tja.“
„Da fällt für dich doch auch was ab, oder?“
„Nicht viel.“
Pause.
„Wie viel ungefähr?“
„Ab und zu mal was.“
Pause.
„Du sollst auf einem Plakat gewesen sein.“
„Das war nur so aus Spaß.“
„Am Hauptbahnhof hängen ist für dich ein Spaß.“
„Woher weißt du das?“
„Ivana hat dich gesehen. Angeblich hast du eine Korbflasche in der Hand gehabt und hast geschaut, als ob du besoffen bist. Würdest du wenigstens mal für mich rausfinden, wo sie den gefangen haben und wer ihn beschrieben hat?“
„Ich mach ja schon, gefangen, gefangen …“
18 ICH LIEGE AUF DEM TEPPICH UND LAUSCHE DER AUFNAHME.
„Ich träume momentan dauernd das Gleiche“, keckert die erste Stimme.
„Was denn?“, meckert die zweite.
„Ich sitze zu Hause vor dem Fernseher und um mich rum montieren sie den Wohnblock auseinander. Die oberen Etagen sind schon weg, ich schau aus dem Fenster, dort türmen sich auf einem großen Haufen nach und nach rausgerissene Betonfertigteile, Möbel, Wannen, Boiler, tote Hunde. Ich sehe mir einen Film an, und auf einmal höre ich einen Presslufthammer direkt hinter der Wand. Gleichzeitig brechen Arbeiter meine Tür auf, schnappen sich den Fernseher und schleppen ihn weg.“
„Ich träume jeden Tag davon, meine Wohnung zu verlieren“, das ist der Titel meiner schwatzhaften Glosse. „Was den Haufen vor dem Fenster angeht – eine ähnliche Vision hat Louis-Ferdinand Céline in dem Buch, das ich gerade lese. Der hat das allerdings wirklich erlebt, als er am Kriegsende durch das kaputte Reich nach Dänemark geflohen ist.“
„Womit ist der denn geflohen?“
„Mit einem Zug, der dauernd angehalten hat, zu entgleisen drohte oder in einem Tunnel zu brennen begonnen hat. Auf der Strecke Rostock–Hannover–Hamburg sind sie hin und her gefahren. Er ist mit Ehefrau und Kater geflohen. Madame hat nur gesprochen, wenn es um den Kater ging, ansonsten hat sie nichts gesagt.“
„Ein paar solche hab ich auch gekannt. Und was für eine Vision hat der Sellin da gehabt?“
„Sie sind zwischen Ruinen durchgezuckelt, haben Dutzende Städte in Flammen gesehen. Es ist immer schlimmer geworden, bis der Zug in einer Ebene stehen bleibt und sie gucken – vor ihnen ragt ein Berg in den Himmel, zerquetschte Balken, Rohre, Ziegel, Straßenbahnen, zu Asphalt verkohlte Leichen, verbogene Brücken. Und auf dem Gipfel des Berges thront mit dem Bauch nach oben eine Dampflok. Er beschreibt das mehrmals, kommt immer wieder darauf zurück und zerbricht sich den Kopf, was für eine Kraft das gewesen sein könnte, die das alles aus der Erde gerissen und dann noch die Hundert-TonnenMaschine obendrauf gepappt hat. Er spekuliert über eine Geheimwaffe, irgendeine unbekannte Bombe. Er kriegt gar nicht genug von den Erinnerungen an diese Lok. Nie vergisst er zu betonen, dass sie zwölf Räder hatte, an anderer Stelle acht, dann wieder zwölf. Er ist davon besessen, geschwätzig, weitschweifig, springt hin und her, das liest sich nicht gut.“
„Du liest das jetzt gerade, wo wir telefonieren?“
„Ich blättere nur darin.“
„Siehst du, ich lese auch oft beim Telefonieren, im Moment lese ich gerade
Das Geheimnis des chinesischen Nagels
fertig.“
„Ist das nicht eine etwas schlichte Lektüre?“
„Ja, ich find’s aber trotzdem gut.“
Pause.
„Warum sagst du nichts?“, sagt er.
„Ach nix, ich liefere mir nur gerade mit so einer Zicke einen Kampf bis aufs Blut.“
„Und wie?“
„Per SMS.“
„Darunter kann ich mir nichts vorstellen.“
„Das müsste ich dir vorlesen.“
„Lies, ich hab doch kein Leben mehr, da interessiert mich
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