Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
hinfalle. Wo ich jetzt dieses neue Mountainbike habe, wär’s vielleicht angebracht, mit irgendwelchen komplexen Protektoren zu fahren.“
„Na ja. Ich wollte unbedingt auch mal einen Helm haben, also geh ich in einen Laden, und schon von der Tür aus sehe ich so eine herrlich kahle Eierschale, schön rundgelutscht, keine solchen Drachenrippen. Also hab ich den Helm gekauft. Wenn der mir nicht zu klein wäre, wäre er super.“
„Hast du hinten das Einstelldings versucht?“
„Hm. Im Laden hat er mir genau gepasst, aber kaum war ich draußen, war er zu klein.“
„Dann bleibt mir nichts übrig, als den Kopf darüber zu schütteln, wie jemand dazu kommt, sich einen zu kleinen Helm zu kaufen.“
Wir gehen um einen Bauschuttcontainer rum. Aus heiterem Himmel wälzt sich durch ein Rohr vom Dach eine Ladung Ziegelmehl und Staub da rein. Hoppla, boppla. Wir stehen mitten in einer dichten Wolke.
„So schnell, wie die bei uns Wände einreißen und wieder aufbauen …“, Michal spuckt Zement, „… wird nirgends eingerissen und aufgebaut! Abriss, und gut is’, bitteschön. Aber dieses Gefriemel beim Bauen, dieses Rumrödeln, das gibt’s bloß in Prag.“
„Hm.“ Ich schüttle mein Hemd aus. „Den einen Monat ist im Haus bei mir gegenüber ein Spätkauf, den nächsten T-Mobile, danach ein Reizwäschegeschäft, dann ein halbes Jahr ein Laden namens
Shalamar
, dazwischen zerkloppen die das jedes Mal mit einem Presslufthammer, bauen um, irgendwer investiert wieder was. Momentan gibt’s dort Militärliteratur, bis jetzt hält die sich gut, Blödmänner gibt’s genug.“
„Können wir behaupten, dass wir nicht zu denen gehören?“
„Wir können behaupten, dass wir andere Interessen haben als die Schlacht um Stalingrad. Du zum Beispiel gehst echt angeln?“
„Ich liebe das, zerstochen im Distelgestrüpp stehen. Ich hol mir eine Grippe, die Lymphknoten tun mir weh, ich hab Durst, schwitze, stecke Köder an die Haken, zupfe an den Angelsehnen und warte, ob mich so ’n Würmchen mal zur Kenntnis nimmt.“
„Darf man die im Mai fangen?“
„Barsche? Da scheiß ich drauf, ich fang sowieso fast nie einen. Letzten Donnerstag hab ich Urlaub genommen, ich wollte Hechte fischen. Und Pustekuchen, es hat geregnet. Der Regen hat mir dieses Jahr auch meine lange geplante Erpeltour versaut.“
Wir biegen in die Bořivojova ein. Ich versuche, nicht an das Leben meines Vaters zu denken, das meinem so entsetzlich ähnelt, beziehungsweise andersrum. An das Leben von einem Kerl, der in einer Einzimmerwohnung landet, wohin er kein Schwein einladen kann, weil er es in den letzten zwanzig Jahren nicht mal geschafft hat, die Zahnpastadeckel aufzusammeln und Staub zu wischen. Von einem, dessen Königreich auch nicht von dieser Welt war, denn er hat alles durchgebracht, versoffen, zum Fenster rausgeschmissen, an die Weiber verteilt, und den Rest hat er sich klauen lassen.
Bloß, wenn er nun versucht, irgendwie hintenrum, in einem Notfallmodus, an mich zu denken? Wenn nun Puchvaldek Recht hat? Wenn ich nun dort sein sollte? Wie ist es, in den Trümmern einer havarierten Maschine festzustecken? Wenn der Verstand im auskühlenden Cockpit des Schädels bibbert und nicht da raus will? In den Frost, ins Nichts?
Die Pflastersteine sehen aus wie Rindfleischbatzen. Geädert, talgig. Die Straße ist voller böser Omen. Ein totgeschlagener Hund in einer Mülltonne, abgeschossene Tauben. Uns entgegen kommt ein Mann mit einer Geschwulst über das halbe Gesicht. Mitten auf der Fahrbahn hinkt auf staksigen Füßen eine zugedröhnte Schülerin daher. Sie klappert vor Entsetzen mit den Zähnen und flüchtet vor irgendwas, das nur sie sieht. Die Umrisse aller Gegenstände sind von einer ekelhaften gelblichen Aura umgossen. Aus den Ritzen zwischen den Pflastersteinen sprießt schwarzes Gras. Mir ist, als würde ich zwanzig Tonnen wiegen.
„Ein Barsch hat für meinen Geschmack zu viele Gräten“, sage ich.
„Der hat eben gerade keine Gräten“, erwidert Michal, „das ist das reinste Fleisch.“
„Dann hatte vielleicht nur meiner welche.“
„Is’ was?“
„Was soll denn sein?“
„Du siehst aus, als ob was is’.“
„Nix is’“, sage ich, „alles okay, eine momentane Mattigkeit. Du hast von irgendwelchen Erpeln gesprochen?“
„Verpeln. Die Böhmische oder Runzelverpel, ein außerordentlich schmackhafter Frühlingspilz.“
„Und wo wächst der?“
„Unterhalb der Feldraine am Teich von Nadějkov, zwischen Prčice
Weitere Kostenlose Bücher