Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
Wenn möglich auf unterhaltsame Weise. Die unterhaltsame Weise zu definieren, war nicht einfach. Per Ausschlussverfahren sind wir bei einer Mischung aus Krimis, Trickfilmserien und alten Schmachtfetzen angekommen,
Das schwere Leben eines Abenteurers, Das alte Gewehr, Endstation Schafott
.
Die Gespräche habe ich angefangen aufzunehmen. Warum, weiß ich nicht. Aus keinem vernünftigen Grund, aus putziger Lust. Aus dem Verlangen heraus, den unmittelbaren blödianesken Zauber des Dialogs zu konservieren. Und so liege ich nun auf dem Teppich und lausche den aufreibend langsamen Sentenzen, Sprechpausen und Seufzern, höre mein scheußliches Knödeln.
„Grace Kelly?“, sagt mein Vater.
„Nein“, antworte ich, und dabei schlucke oder schlürfe ich was.
„Laura Elliott?“
„Teresa Wright. Und wer hat das Onkelchen gespielt, das ihr an die Gurgel gegangen ist?“
„Der hieß Kutmann oder irgendwie so. Lebst du immer noch mit der Hanka zusammen?“
„Ich hab’s dir schon so oft gesagt – nein.“
„Die hat dir’n Arschtritt verpasst, was?“
„Es ist im Sande verlaufen.“
„Und hast du eine Neue?“
„Nein. Woher hast du übrigens die ganzen tollen Hosenträger?“
„Was für Hosenträger?“
„Dein ganzer Schrank ist voll damit.“
„Unterschiedlich, von Leuten. Wie ist es denn heute draußen?“
„Ich war noch nicht vor der Tür.“
„Wie, du arbeitest nicht?“
„Doch, aber von zu Hause.“
„Das geht?“
„Ich korrigiere, schreibe Kolumnen, Kommentare, na ja, ich hab meine Tastatur geheiratet.“
„Dann find doch dort mal für mich raus, wie groß der größte lebende Küstenmammutbaum ist.“
„Hundertdreiundzwanzigeinhalb Meter.“
„Das hast du so schnell rausgekriegt?“
„Hm.“
„Die meinen wahrscheinlich den, der in Holy Rock am Rand von Pickford steht, stimmt’s?“
„Warum fragst du dann, wenn du’s eh weißt?“
„Mich hat interessiert, ob das Internet das auch weiß. Wenn du einen Moment Zeit hast, kannst du mal für mich rausfinden, was die größte Krake war, die jemals gefangen wurde. Welche Art und was für eine Spannweite.“
17 ICH HABE AUCH DAS GEFÜHL, DASS ER EIN BISSCHEN EIFERSÜCHTIG WAR. Er musste vierzig Jahre lang pipettieren, Mikroskopiergläser unter der Linse hin und her schieben und die Ergebnisse seiner Forschungen auf einer Schreibmaschine tippen. Und auf einmal wimmelt es hier nur so von Erkenntnissen über die Ursubstanz von Raum und Zeit. Aber vor allem in ihm, geboren inmitten des regnerischen Novembers 1929, ist die Neugier explodiert. Er hat angefangen, sich für Neuigkeiten aus der Paläontologie zu interessieren, für die Masse des galaktischen Zentrums, die Interaktion von Neutrinos, den detaillierten Verlauf des wirtschaftlichen Aufschwungs im asiatischen Raum. Das lief ausschließlich über mich, Internet zu Hause wollte er nicht. Er mochte nicht in Reichweite von etwas sein, das so gestaltlos war.
„Von 1958 bis 1960 sind in Folge der Politik der Kommunistischen Partei Chinas zwanzig bis dreißig Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung gestorben“, quäkt meine Stimme aus dem Diktiergerät.
„Schön, aber mich interessiert mehr, welche Rolle Liu Shaoqi in der zweiten Phase der Revolution konkret gespielt hat. Hast du mal für mich nach der Krake geschaut?“
„Hm, ein
octopus giganteus
, der in Florida angespült worden ist.“
„Sankt-Augustin-Strand, siebenundvierzig Meter, richtig? Das ist ein altes Märchen. Zwar haben Biochemiker in Kanada Gewebeproben untersucht und behauptet, dass das ein Oktopus ist, aber ich glaub denen nicht.“
„Dann gibt’s hier nur noch 1993 so ’ne Flunder.“
„Was für eine Art, welche Spannweite und wie viel hat das Vieh gewogen?“
„Fünfundzwanzig Fuß, hundert Pfund, Pazifik-Oktopus.“
„Moment, das muss ich mir aufschreiben … Und wo haben die den gefangen?“
„Das weiß ich nicht.“
„Willst du denn nicht noch schauen, wo die den gefangen haben, zu welcher Jahreszeit und wer ihn beschrieben hat?“
„Ich muss noch was fertigmachen, dann guck ich mal nach.“
„Du arbeitest und arbeitest nicht, stimmt’s? Du schreibst für dich selber.“
„Mehr oder weniger.“
„Ich hoffe, nicht wieder über mich.“
„Über dich nicht mehr.“
„Wie soll das denn heißen?“
„Ich hab keine Ahnung.“
„Warum schreibst du eigentlich?“
„Eine Form von Flucht.“
„Und macht das dann auch irgendwem Spaß, das zu lesen?“
„Ich weiß das
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