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Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Titel: Regeln des Tanzes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Stangl
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und Achterbahnen, rechts die Bäume der endlos langen Allee. Alkoholfreies Bier, denkst du. Als er den dunklen gläsernen Kubus, in den er nicht zurückwollte, weitläufiger als nötig umkreiste (dein Prinzip ist: niemals geradeausgehen), kam er an Bürogebäuden vorbei, die er bisher nur aus dem Autofenster gesehen hatte, und trat in Gassen, von deren Existenz er nichts gewusst hatte, er glaubte sich in einer fremden Stadt. Nichts passte mehr zum anderen, die Häuser nicht zu den Straßen, die Straßen nicht zu den Menschen, die Menschen nicht zu seinen Erinnerungen, die Häuser waren keine Häuser, die Straßen keine Straßen (sie passten nicht zu sich selbst), die Menschen keine – nun, das heißt nur, er passte nicht hierher, sonst passte alles. Jeder mit eckigen Schritten an einer gläsernen Hochhausfassade vorbeilaufende Junge (nein, es sind immer zwei oder ganze Gruppen: eckige Schritte, schiefe Münder: wenn du sie mit deinem Greisenblick anschaust) war eine Art von Wilder; ein Bote aus einer nahen Zukunft, einer Zeit, in der die Gebäude ihre Funktion verlieren, die Fassaden abfallen würden, morgen oder in hundert Jahren. Er spürte etwas wie einen Schlag auf den Hinterkopf, aber er ging voran, als hätte er es plötzlich eilig und wüsste ein Ziel. Endlich stand er am teilweise überdachten halbkreisförmigen Vorplatz des Bahnhofs mit den Betonflächen, den vergitterten Pflanzentrögen, den Gleisen der Straßenbahnlinien O und 5 und dem Denkmal des Admirals. Über zwei Fußgängerübergänge gelangte er zu einem alten Gasthaus; er kannte diese Gegend von früher, bald konnte er in ein Gewirr von Gässchen tauchen, mit Durchhäusern, Plätzen, Sichtschneisen in die Innenstadt und zum Kanal oder den Parks, er konnte herumlaufen, eine Stunde lang, zwei Stunden lang, vor irgendeiner anderen U-Bahnstation landen, er konnte Dinge wiedererkennen: Häuser, sogar Läden, Cafés, Orte, die er als junger Mann gekannt hatte, als ein junger Mann, der ihm jetzt wie ein Kind erschien, Dinge, Orte, die sich seither erschreckenderweise nicht verändert hatten; als gäbe es eine Zeit, die es nicht mehr gab, eine beständige, aber ausgeleerte Zeit: zu den Orten gehörten keine Menschen mehr, keine Menschen und keine Erwartungen. Aber riefen nicht die Orte (fast ohne sein Zutun) die Menschen hervor, die Erwartungen, wenn auch seltsam verschobene Erwartungen, seltsam ausgehöhlte Menschen. Jederzeit kann ihm jemand begegnen, der noch seine Kleider von vor vierzig oder fünfzig Jahren trägt, dessen Züge seit vierzig oder fünfzig Jahren unverändert sind. Er geht durch die Straßen mit seinem schutzlosen hübschen Gesicht, seinem Körper und seinem Gesicht eines fast noch nicht alten Mannes, Passanten kommen ihm entgegen, überholen ihn, er kann einen Blick auf sie werfen, sich an sie erinnern, besser als er meint. Er hat sein Sakko, er hat seine Brieftasche, er hat bequeme Schuhe an. Kann er eine junge Frau anschauen, ohne dass sie ihn an eine andere junge Frau erinnert, eine junge Frau aus einer anderen Zeit, die ihm nah war oder nah hätte sein können, wäre er nur damals, als er noch in ihre Welt passte, ihrem Blick gefolgt? Kann er eine junge Frau anschauen, ohne sich mit einem jungen Mann zu verwechseln? Vielleicht bleibt die Kulisse der Welt samt allen Statisten unverändert, er kann es bemerken, kann es glauben, es hängt nur von seinem Blick ab (er fühlt sich sicher, solange niemand seinen Blick erwidert).
    Zum ersten Mal seit dem Tod ihres Vaters hat sie das Gefühl, dass etwas wirklich zu Ende ist, und dieses Mal nicht nur (denkst du das so, nicht nur ?) für sie und den ganz kleinen Bereich ihres eigenen Lebens, sondern für das ganze Land, vielleicht, so klein und unbedeutend dieses Land auch ist, in der Folge für den ganzen Kontinent und alle Länder, die sich Demokratien nennen. Etwas, das selbstverständlich schien, und das sie für die Grundlage einer Art von zivilisierten Zusammenlebens gehalten hatte und das sich nun (der Tod deines Vaters dagegen war ein plötzlicher Schock, dem sich im Nachhinein deine Welt nach und nach anpassen musste) schleichend zersetzt; oder eher gezielt aufgelöst wird. In diesen Februartagen verschärft sich der Eindruck natürlich und überlagert alles andere, aber eigentlich ist er schon seit einigen Monaten da, seit dem letzten Frühjahr, als der nigerianische Schubhäftling gefesselt und mit zugeklebtem Mund im Flugzeug erstickte, das Gefühl, dass es ernst ist, nicht nur,

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