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Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Titel: Regeln des Tanzes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Stangl
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es kann doch nicht sein, dass so viel Dummheit, Gemeinheit und Leere sich einfach halten können, gegen eure Präsenz; gegen die Logik des Zustands, in dem du dich befindest und in dem die anderen Demonstranten sich befinden müssen; diese Logik, die sich in körperliche Präsenz verwandelt. Du kannst nicht einfach in dein Leben zurückkehren, das Wunder muss aus dieser Logik folgen, mit Notwendigkeit und dennoch ein Wunder. Sobald du nachdenkst, löst sich diese Notwendigkeit auf, aber warum solltest du nachdenken, wenn dich das Denken nur verdummen und nachgiebig und verzweifelt machen kann.
    Gleich ist niemand mehr um dich, den du kennst, eine Bewegung entsteht, als würde eine Wasserfläche in größere und kleinere Ströme zerlaufen, du überlässt dich dieser Bewegung; jetzt beginnt erst der Tag. Dein Handy ist ausgeschaltet, ihr zieht über die Ringstraße, du weißt nicht, wohin.
    Als er später ins Wohnzimmer kam, erstaunte ihn der Blick, den ihm Pre zuwarf, immer wieder erstaunte ihn dieser besondere Blick, dieses Strahlen, das sich in fünfundzwanzig Jahren nicht verändert hatte; so als könnte er es immer wieder vergessen (aber war nicht das Erstaunen schon die Erinnerung an ein Erstaunen, so wie das Erleben jeden Moments nur noch das Herausziehen eines früher schon so erlebten Moments aus einer riesenhaft aufgestapelten Schicht angesammelter Erfahrungen war: auch wenn er alles vergessen konnte und immer wieder vergaß, es war da gewesen, kam immer wieder, er erkannte es immer wieder. Das Strahlen war frisch, sein Erstaunen blass). Pre saß mit einem Glas Wein an ihrem Computer, den sie aus ihrem Zimmer mitgenommen hatte, vielleicht weil sie nicht allein sein, aber auch nicht verzichten wollte auf das Arbeits-, Einkaufs-, Spiel- und Nachrichtengerät, das ihr eine ständige Verbindung zur Außenwelt garantierte. Du selbst bist bloß ein Teil ihrer Innenwelt, Teil der Wohnung, dieser stillen, weiten und doch abgeschlossenen Landschaft aus weißen Räumen. Pre schaute wieder auf den Bildschirm, nahm eine Zigarette aus der Packung, er öffnete das Fenster, sie verzog den Mund. Dabei magst du den Zigarettengeruch meistens: das Versprechen in ihm, das durchs Rauchen niemals zu erfüllen ist, es ist ein Geruch, der zum letzten Jahrhundert gehört. Du schaust auf die Pflanzen, die den Balkon in einen kleinen Garten verwandeln, dahinter das Dunkel des Innenhofs, in das der Rauch sich in dünnen Schwaden verzieht. Drüben auf der fensterlosen Mauer zeichnet sich das Licht aus eurem Wohnzimmer als helles Rechteck ab, du kannst es jeden Abend betrachten. Und was hast du heute so getrieben, fragte Pre, während sie Rauch in ihre Lungen einzog, den Blick auf ihr Mailprogramm gerichtet, er hatte sich aufs Sofa gesetzt, ließ ein paar Sekunden verstreichen und antwortete ohne zu antworten, so als wäre er mit dem Kopf gerade ganz woanders:
    – Scheint dir nicht auch, dass deine Kindheit endlos war und irgendwo noch immer existieren muss, während dein Erwachsenenleben ganz beiläufig vorbeigezogen ist, fast beliebig, und du kannst beliebig ein paar Jahre ausstreichen oder überhaupt alles neu schreiben? An der Kindheit ist dagegen gar nichts zu ändern, auch wenn du es versuchst, jeder Tag sitzt fest, so wie du ihn erlebt hast? Ojojoj, mein Liebster, du wirst sentimental, sie tippte, während sie redete, ein Mail an eine ihrer Freundinnen oder sonst jemanden in Berlin, Brüssel, Neuseeland oder New York, schaute ihn nicht an. Es klang für ihn, als würde sie sagen, du wirst senil. Die Weinflasche stand neben Pre auf dem Boden, er konnte sie sich holen, ein Glas aus dem Schrank nehmen, sich einschenken, vielleicht würde er dann nachts eher schlafen können. Er könnte weiter reden, seinen Gedanken weiter spinnen, ab und zu einen Schluck vom Wein trinken, an Pre einfach vorbeireden, warum nicht, sie brauchte nicht zuzuhören, er könnte langsam die Flasche leeren, eine neue Flasche holen, vielleicht würden sich irgendwann seine und Pres Sätze treffen, vielleicht würden sie es sich beide einbilden, ab und zu kam das noch vor. Er redete gegen seinen Willen weiter; obwohl er über Dinge sprach, die ihm wichtig waren, wichtiger als seine Ausflüge, wichtiger als die Filmdosen in der Schublade, hatte er den Eindruck auszuweichen. Kümmerte es denn Pre, was er tagsüber so trieb? Kümmerte es ihn, was sie tagsüber trieb? Würde er seinen eigenen Laptop herüber ins Wohnzimmer holen, so wie früher, als er noch daran

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