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Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

Titel: Regeln des Tanzes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Stangl
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dass dir andauernd Skrupel und Gedanken als kleine Widerstände in deinem Innern ins Spiel fahren?), sie wird durchs Fenster in den Hinterhof hinausschauen, wo sich die Zweige des großen Kastanienbaums, an denen ganz vereinzelt Blätter hängengeblieben sind, leicht bewegen; du weißt, dass sie sich umdrehen wird, sich wieder hinlegen, weiterschlafen, bis in den Nachmittag hinein, schlafen, weil der Schlaf es will, dann, am Nachmittag, am Abend läufst du mit Grüppchen von Menschen immer noch durch die Straßen, hungrig und wütend, und bist beinah schon bereit, mit Steinen zu werfen.
    Er las die Firmenschilder an den Hochhäusern und an den Haustoren der sanierten Altbauten in der Nordbahnstraße und in der Praterstraße: PR-Wizard GmbH, Dream Advertising and Advertising Dreams. Solaris Mediamanagement und Public Power Lobbying, Spartacus Workout Space, Spartacus Homecare, Spartacus Leih- und Zeitarbeitsvermittlung GmbH., xxx-Animations: Dream Power 4U (Jesusmaria, lasst euch doch alle zuscheißen), bog in die Mayergasse, hier gab es immer noch das Café Dogenhof auf der einen Seite, auf der anderen die Bankfiliale, das billige Hotel und gegenüber das Puff, das inzwischen wahrscheinlich siebenmal seinen Namen gewechselt hatte. Als er in diese Stadt gezogen war, als die Stadt ihm noch etwas bedeutete, als Student, dem das Studieren oder scheinbare Studieren als ein endloser oder nur durch die Revolution zu beendender Seinszustand erschien, hatte er ein paar Straßen weiter in einer kleinen Hofwohnung (Klo am Gang) in einem sogenannten Durchhaus gewohnt und war oft hier herumgestreift, auf beiden Seiten der Praterstraße und bis hinauf zum Gelände des großen Güterbahnhofs, wie durch eine Wildnis, jedenfalls anfangs, bevor er die Häuser alle wiedererkannte und dazu sogar noch ein paar Leute, die in ihnen anzutreffen waren. Erinnere dich an die Erwartung: naturgemäß wurde sie niemals erfüllt, wann wäre denn die Wirklichkeit von derselben Substanz wie die Erwartung. Aber gibt es nicht etwas dazwischen, darunter, einen Bereich, in den Erwartung wie Wirklichkeit sich verschieben lassen, wozu würdest du sonst leben oder gelebt haben, wozu läufst du sonst herum.
    Die Fassaden der alten Häuser strömten einen staubigen Geruch aus, er konnte auf die Fassaden, die Auslagen, die Fenster in den oberen Stockwerken, die ausgebesserten Stellen im Gehsteig, die kleinen Unebenheiten achten, all das konnte ihm einen Grund geben, einen Schritt weiterzugehen, noch einen Schritt, noch einen Schritt. Die Straße war menschenleer. Dort vorne, wo früher ein uraltes kleines Haus mit hohem Dach und noch sichtbarer Hofeinfahrt stand, sah er jetzt einen Jahrhundert-, nein, Jahrtausendwendewohnbau mit gläsernen Treppenhäusern und mit Garagentoren zur Straßenfront hin. Er richtete den Blick auf ein Loch in der Hausmauer neben ihm, dort mochte ein Leitungskabel münden, irgendein aufgestemmter und nicht wieder zugemauerter Zugang zu dem ihm unbekannten System von Strom-, Telekabel- oder Glasfaserleitungen, das Loch war zugestopft; was er im ersten Moment für irgendein Plastikstückchen, Abfall hielt, war bei näherem Hinsehen eine Filmdose; sie passte genau in das kleine runde Loch hinein, er schaute sich um, holte sie mit zwei Fingern heraus und ließ sie in seine Sakkotasche gleiten, dahinter steckte eine zweite, schwarz mit grauem Deckel so wie die erste, er fand mit einem Fingernagel Halt am Deckel und zog sie nach vor, steckte sie zu der anderen. Wann hatte er zuletzt Filmdosen gesehen, das musste eher Jahrzehnte als Jahre her sein; als er diese Dosen, bevor er sie in die Tasche gleiten ließ, kurz in der Hand hielt, erfasste ihn etwas wie ein Déjà-vu, er spürte am Gewicht und an dem kleinen Rütteln, dass ein Film in der Dose sein musste, dieses Gewicht, dieses kleine Rütteln hatte er vor Jahrzehnten gekannt, wenn er auf irgendwelchen Urlaubsreisen oder während eines sozusagen beruflichen Museumsbesuchs die Kamera aufklappte, vorsichtig den ausgeknipsten Film herausnahm, ihn möglichst schnell vor dem Sonnenlicht verbarg und einen neuen einlegte. Ein eiliges Herumhantieren, auf irgendeiner Mauer über einer Meeresküste sitzend, die Füße im Unkraut, ein Schritt mehr, und er könnte ins Innere dieses Erinnerungsbildes hineinfallen. Er hoffte sogleich, dass sich belichtete Filme in den Dosen befinden würden; nachdem er um zwei Ecken gebogen war, immer noch ohne jemandem zu begegnen, und in einem Durchhaus angekommen,

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