Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)

die Fahrer auf, rhythmisch zu hupen, und die Fahrer – die Stadt ist eine andere geworden, nicht mehr die Stadt, die du kennst – hupen tatsächlich, es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Passanten und Demonstranten, die ganze Stadt demonstriert, überall kann sich ein Funke zeigen und überspringen. Sie wird den ganzen Nachmittag weiterziehen, immer durstiger, immer hungriger, dann immer wütender, immer glücklicher, am Abend, wenn sich alles verändert.
    Als würde sich dort draußen etwas auflösen, ein Himmel und eine Stadt aus Teer, sickerte die Nacht ins Zimmer und in seinen schlaflos daliegenden Körper, das Klopfen seines Herzens erschien ihm wie ein Rhythmus, der sich aus der Nacht ins Zimmer und in ihn hineindrängte. Fühl es klopfen, tropfen, in deinen Magen, deine Blase, mit den Sekunden, auf den Boden, den Teppich, dein Herz, dein Hirn, ein Klopfen, Tropfen, der Druck in seiner Blase war beinah schmerzhaft; oder bildete er sich ihn nur ein, er war sich immer weniger sicher, wann er wirklich aufs Klo musste und wann er es sich nur einbildete. Er stieg leise aus dem Bett, die Wohnung roch nach abgestandenem Zigarettenqualm. Er versuchte seine Augen geschlossen zu halten; trotzdem drehte er das Licht im Badezimmer an, es stach grell durch seine Lider und zwang sie einen Spalt weit auf. Der Pyjama kratzte an seiner Haut, die Nacht, die Zeit, der Pyjama, es tröpfelte aus seinem Penis, dann wusste er nicht, wann und wie es aufhören sollte. Er sehnte sich nach seinem Bett; kaum, dass er sich wieder hingelegt hatte, wusste er, dass er nicht mehr schlafen würde. Er lag ganz still da; mit einer ganz leichten Bewegung seiner Hand könnte er den nackten Arm Pres berühren, sich an ihrer Schulter festhalten, er würde sie dabei nicht einmal wecken, seine Berührungen und Griffe sind ihr zu vertraut, er ist für sie vertraut wie ein Haustier, ein freundlicher Geist, widerstandslos, fast ohne Körper. Eine Zeitlang horchte er auf ihre Atemzüge, ab und zu machte er die Augen auf und schaute auf die graue Fläche des Rouleaus vor dem Fenster, Schatten von Zweigen, die sich leicht bewegen, ein unschlüssiges Winken, das ihm Unbehagen bereitet. Diese Nacht glich so vielen Nächten, sein Warten, seine Gedanken, die er genau so schon gedacht haben musste, die verzögerte Zeit: ab und zu warf er einen Blick auf die Uhr und war erstaunt, dass erst zehn Minuten, erst eine halbe Stunde, immer noch weniger als eine Stunde vergangen waren. Die einzigen neuen Gedanken, die an die Filmdosen, waren nur umso lästiger: Du wirst senil , jeder der dir zuschauen würde, könnte es erkennen: was für eine lächerliche Lust, etwas Verbotenes zu tun; was für eine harmlose Spielerei; was für ein gewaltsamer Versuch, Träume von früher, vom Zufall, dem Wunderbaren zu wiederholen; senile Träume aus zweiter Hand. Und gleichzeitig diese Ungeduld weiterzuspielen, weiterzukommen im Spiel, das du nicht einfach im Computer und zur Hand hast, sondern für das du die Welt draußen brauchst.
    Gegen fünf saß er im Wohnzimmer auf dem Boden, den Kopf an die Couch gelehnt, eine Fernbedienung in der Hand, an den nackten Füßen frierend. Rund ums Leuchten des Bildschirms breitet sich das dunkle Zimmer aus, ein Kasten in der Welt, in dem er drinsteckt. Seine blassen Männerfüße mit dem haarigen Rist und den breiten Nägeln, passen sie denn zu ihm, haben sie je zu ihm gepasst? Der Finger an der Fernbedienung schaltete von Sender zu Sender: Actionfilme, Spielshows und Wiederholungen von Spielshows aus dem vorigen Jahrhundert, Filme, auf die er keine Lust hat (nein, für die er keine Zeit zu haben glaubt), ein Wecken Brot namens Bernd, der ihn missmutig anschaut, Autorennen, Snowboardrennen, Autounfälle, Lawinenunglücke, Wellensurfer, der Softpornokanal (eine Miss Mai 2014 geht nackt mit hohen Stöckelschuhen durch ein leeres Hotel), Wellensurfer, Lawinenunglücke, Spielshows aus dem letzten Jahrhundert, Verkaufsshows (Allzweckschneidemesser, Traumreisen), der Softpornokanal (eine Miss September 2007 räkelt sich in Strapsen mit aufgepumpten Brüsten auf der Theke einer Bar), Spielshows aus dem letzten Jahrhundert, Filme, die ihm unendlich langsam erscheinen, der Softpornokanal, nun gut. Zwei blonde Frauen, die er nicht voneinander unterscheiden kann, tun so, als würden sie miteinander schlafen, er hasst das Stöhnen und die Musik, er wartet ungeduldig, dass die Frau, die im Bild ist, ersetzt wird; wenn sie ersetzt ist, wird er auf eine