Regenbogen-Welt (German Edition)
vernehmen.
Maiitsoh stieß ein Knurren aus. Ihm gefiel die verführerische
Schönheit dieser Welt nicht. Sie hatte eine gefährliche Harmonie. Uhuras Stimme
durchbrach diesen Gedanken. Sie sprach, ruhig wie es ihre Art war, weiter. Nur
das Flattern ihrer Augenlider verriet innere Unruhe.
„Für die Navajos ist dies ein spiritueller Kraftort.”
Da war er wieder, der Hinweis auf einen der Clans des roten
Volkes. Barb fühlte Energie und Lebenslust in sich aufsteigen. Dieses Gefühl
hatte sie schon beim Betreten der Höhle empfunden. Ihre Augen nahmen dankbar
die Inszenierung der Natur in Farbe und Gestein wahr. Vor ihnen erhob sich ein
steinernes Meer von Kathedralen, Spitzen, Bögen, Türmen, Pagoden und
Schlössern.
„Die Stille Stadt”, entfuhr es Ishtar. „Das muss die Stille Stadt
sein, von der Shirkan so häufig gesprochen hat.”
Sie hatten noch lange die natürlichen Skulpturen betrachtet. Aber
dann war es Kasur, die zum Weitergehen mahnte.
Saha hatte der Schlange einen fragenden Blick zugeworfen, aber
keine Antwort erhalten. Dann schaute sie Barb an. Die Freundin wich dem Blick
aus und folgte Kasur. Saha fragte sich, was mit den beiden los war.
Achselzuckend folgte sie ihnen.
Es dauerte nicht lange, und sie erreichten eine tiefe Schlucht.
War die Stille Stadt die Verkörperung des Wortes Schönheit, so war der Canyon,
auf den sie nun ihre Blicke richteten, eine weitere Steigerung. Hier bot sich
ihnen ein Skulpturgarten von unendlicher Schönheit und Vielfalt. Mal schimmerte
es weiß, mal in den Farben des Regenbogens. Erosion und Verwitterung hatten ihm
seine unverwechselbare Gestalt verliehen. Sein Anblick überstieg nicht nur
menschliches, sondern auch irdisches Maß. Da war Schönheit, herbe Romantik und
mystische Einsamkeit.
Ishtars Hand fuchtelte plötzlich vor Sahas Augen. „Sieh nur!”,
schrie er. Und deutete auf ein hohes Monument.
Bevor einer der Freunde etwas sagen konnte, entfuhr es Saha: „Der
Steinerne Turm ... das muss der Steinerne Turm sein!”
Es gab ihn also tatsächlich. Ganz wie es die Vision im Tal der
Schmetterlinge prophezeit hatte. Der beinahe dreihundert Meter hohe Turm mit
der zweigeteilten Spitze erhob sich majestätisch inmitten der Canyonlandschaft.
„Er ist mir im Traum erschienen”, rief Saha und zerrte an Barbs
Arm. „Ich wurde aufgefordert, ihn zu suchen. Ich weiß nur nicht, warum.”
„Das kann ich dir sagen.” Uhura ließ sich auf einem Felsen
nieder. Es erstaunte Saha schon längst nicht mehr, dass die Eule wieder einmal
wusste, worum es sich bei dem steinernen Monument handelte. Ihre nächsten Worte
bestätigten das. „Der Steinerne Turm ist der heiligste Ort der Navajos.” Sie
wandte sich zu Barb herum. „Dort liegt der Ursprung deines Volkes.”
Barb blieb stumm. Starrte nur zu den beiden Spitzen des
Steinernen Turmes. Auf einer von beiden erhob sich ein Schloss aus rötlichem
Stein.
Uhura folgte Barbs Blick. „Das ist das Schloss der Weißen
Büffelfrau. Sie ist die Hüterin der Pflanzenwelt. Und nicht nur das.”
Barb hob im Zeitlupentempo den Kopf. „Wie kommen wir zu ihr? Der
Steinerne Turm ist so hoch ... und ...” Sie wirkte das erste Mal, seit Saha sie
kannte, verunsichert. Ihre angeborene Selbstsicherheit ließ sie in dem
Augenblick im Stich.
„Lasst uns bis zur nächsten Biegung gehen”, schlug Uhura vor.
„Dann werdet ihr sehen, wie wir in das Schloss der Weißen Büffelfrau gelangen
können.”
Uhura musste die Freunde kein zweites Mal auffordern. Sie gingen
sofort los und erreichten die Biegung in einem Rekordtempo. Und dann sahen sie
die steinerne Brücke, die in einem exakten und schimmernden Bogen bis an den
Turm führte.
„Das ist die Regenbogen-Brücke”, sagte Uhura.
„Nonne Zoshi”, flüsterte Barb.
Uhura nickte. „So nennen die Navajos sie. Ganz recht.” Die Eule
war zufrieden. Sehr zufrieden.
Die Brücke war etwa hundert Meter hoch und maß eine Spannweite
von ungefähr fünfundachtzig Meter. Es war ein in Stein verwandelter Regenbogen,
über den sie sicher schreiten konnten. Dahsani lugte zwar ab und an voller
Furcht in die gähnende Tiefe. Aber er verkniff sich dieses Mal einen Kommentar.
Die Erregung, von der die kleine Gruppe ergriffen war, hatte auch vor ihm nicht
haltgemacht. Uhura hatte ihnen erzählt, dass es noch einen besonderen Canyon
gab, den es zu suchen galt ... wenn, ja, wenn sie den Aufenthalt im Schloss der
Weißen Büffelfrau heil überstanden. Und die Eule hatte auch noch
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