Regenbogen-Welt (German Edition)
in die Fünfte Welt
vorzudringen.” Sie stieß ihren schaurigen Ruf aus.
Ishtars Gesicht verfinsterte sich schlagartig. Er schätzte es
nicht sonderlich, wenn man Saha noch zusätzlich Flausen in den Kopf setzte. Sie
war ohnehin schon von dem Gedanken beseelt, die Regenbogen-Welt zu
durchwandern. Nein, sie war geradezu besessen davon.
Uhura beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Sie wusste, dass
er solche Gespräche nicht allzu sehr liebte. Besser gesagt, dass er sie
verabscheute. Aber Uhura war viel älter als er, wusste mehr und war sich über
eines im Klaren: Der Zeitpunkt war gekommen, an dem sich das Insektenvolk –
oder zumindest einige Abgesandte – auf den Weg machen musste. Auf den Weg in
die Fünfte Welt.
Sie hatten noch bis zum Morgengrauen auf dem Baum gesessen und
diskutiert. Am Ende war aus dem hitzigen Gespräch ein handfester Streit geworden.
Ishtar war wütend auf Uhura, weil sie allen Ernstes vorgeschlagen hatte, die
Erste Welt zu verlassen. Er fühlte Schmerz, als er sah, wie glücklich Saha über
die Möglichkeit war, ihrer Welt den Rücken zu kehren. Es stimmte ihn traurig,
dass sie ihr so wenig bedeutete.
Immerhin war es auch seine Welt.
Saha hingegen hätte laut trällern können. Auf dem Weg nach Hause
konnte sie sich nur mit äußerster Mühe zurückhalten. Aber die anderen Insekten,
mit denen sie in Wohngemeinschaft lebte, schliefen bereits tief und fest, und
Saha wollte sie nicht wecken. Sie setzte sich auf einen dünnen Ast ihrer
Baumbehausung und dachte über das Gespräch nach. Am meisten erstaunte sie
Uhuras Beharrlichkeit, Ishtar und Shirkan davon zu überzeugen, mit Saha und den
anderen Insekten die Erste Welt zu verlassen. Das sah der Eule, die sonst mit
stoischer Ruhe durch ihr Gegenüber hindurchzusehen pflegte, nicht ähnlich.
Uhura verschweigt uns etwas, dachte Saha. Sie ärgerte sich
darüber, dass sich die Eule so ausschwieg, denn Saha wusste über die
Regenbogen-Welt sehr wenig. Nur das, was sie erzählt bekommen oder
aufgeschnappt hatte, wenn sie die Alten belauscht hatte, was sie mit forscher
Regelmäßigkeit tat. Insofern war der Verlauf des Gesprächs unbefriedigend
gewesen. Und Ishtar hatte wie immer abgeblockt. So sehr Saha auch sonst an dem
schönen Libellen-Mann hing, so sehr verärgerte es sie immer wieder, dass er das
Thema mied, das ihr so sehr am Herzen lag. Ishtar hatte es vorhin wieder sehr
eilig gehabt, jenes Thema zu beenden, und Saha hatte ihm erzürnte Blicke
zugeworfen, die er zornig erwidert hatte. Das war aber vergebliche Liebesmühe
gewesen, denn für Saha gab es kein Halten mehr. Sie wusste, dass Uhura auf
ihrer Seite stand, seit die Eule ihr zugeflüstert hatte: „Geh zu Iman, mein
Kind. Sie wird dir helfen!”
Iman, die Riesen-Heuschrecke, beherrschte die weiße Magie, so
lange Saha denken konnte. Sie war eine der Heilkundigen, die ihr Wissen
nutzbringend für ihr gesamtes Volk anwendete. Das war der Grund, warum sie von
allen geachtet und verehrt wurde. Iman lebte abseits von dem Insektenvolk in
dem verkrüppelten Stamm eines uralten Olivenbaumes und nur Uhura pflegte
ständigen Kontakt mit ihr. Sie und Iman verband das Wissen, das den meisten
Kreaturen im Universum verwehrt blieb.
Saha erreichte den Olivenbaum kurz nach dem Morgengrauen. Iman
hatte gerade ihre Baumhöhle verlassen und richtete sich zu voller Größe auf.
Ihr weißer, feingliedriger Körper sah gespenstisch aus. Besonders das Gesicht
der Riesen-Heuschrecke wusste zu beeindrucken. Der majestätische Ausdruck
erhielt durch die tiefe Schwärze der Augen, die sich nach allen Seiten zu
drehen vermochten, eine diabolische Note.
Imans alles überragende Größe trug zusätzlich dazu bei, dass sich
Saha klein und unwichtig in ihrer Nähe fühlte. Regungslos stand die
Riesen-Heuschrecke vor dem alten Baum und blickte Saha, die sich langsam
näherte, entgegen.
Saha wusste nie so recht, wie sie sich in Imans Nähe verhalten
sollte. Sie ließ sich daher zaghaft vor ihr nieder und blickte zu ihr auf,
direkt in die teerschwarzen Augen, die keinesfalls freundlich dreinblickten.
Saha rutschte das Herz in die Kniekehlen. Was sage ich jetzt, fragte sie sich
und hoffte, Iman würde das beklommene Schweigen beenden, das zwischen ihnen
entstanden war. Aber die Riesen-Heuschrecke tat ihr nicht den Gefallen.
Natürlich nicht, dachte Saha verdrießlich, das wäre ja auch viel zu einfach.
Iman erbarmte sich doch noch. Sie sah Sahas verzweifelten
Gesichtsausdruck und fragte
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