Regenbogen-Welt (German Edition)
hob
theatralisch die Arme. „Du bist ja völlig aus dem Häuschen. Das kann ja heiter
werden.”
„Was kann heiter werden?”, fragte eine Stimme hinter ihnen.
„Shirky”, rief Saha und trippelte auf die große Ameise zu,
umarmte sie und begrüßte sie mit einem Wortschwall.
Shirkan lachte schallend. „Gnade, lass mich erst einmal zu Atem
kommen. Dein Temperament ist wirklich unvergleichlich. Da kommt nicht einmal
Barb mit.”
An Saha gingen seine Worte spurlos, wie ein seichter Sommerwind,
vorbei. Außer, dass sie sich vornahm, Barb am nächsten Tag einen Besuch
abzustatten und sie zum Mitkommen zu bewegen. Aber das würde wenig
Überredungskunst kosten, da die Freundin eine Globetrotterin und
Abenteurerseele war.
Saha warf Shirkan einen schmeichelnden Blick zu. „Du wirst uns
doch begleiten, Shirky?”
Die Ameise überlegte lange, dann blickte sie Saha an und
erwiderte leise: „Für einen solchen Marsch bin ich schon zu alt, mein Kind.”
„Das kann doch nicht dein Ernst sein. Du bist keineswegs zu alt”,
protestierte Saha. „Und wir brauchen dich doch.” Sie schluckte. „ Ich brauche
dich”, sagte sie leise.
Ein neuer Tag erwachte taufeucht im schimmernden Licht des
Morgenrots. Saha hätte vor Lebensfreude Luftsprünge machen können. Aber das
passte einfach nicht zu ihrer stolzen Haltung. Sie schmunzelte. Ihre Großmutter
pflegte zu sagen: „Die Gottesanbeterin, mein Kind, ist ein Beispiel an Mut und
Furchtlosigkeit!” Dann schenkte sie Saha immer einen merkwürdigen Blick. „Und
sie kann verschiedene Gestalten annehmen.”
Die Vorstellung, die Gestalt zu wechseln, beflügelte Sahas
kindliche Phantasie, und sie dachte sich die tollsten Abenteuer aus. Dabei war
sie sehr erfinderisch. Keine Geschichte glich der anderen. Aber sie hatten
immer einen gemeinsamen Nenner: Sie spielten alle in der Fünften Welt.
Vom Wind aufgescheuchte Blätter tanzten um sie herum. Saha
ergriff eines mit ihren langen, schlanken Chitinarmen und begann es genüsslich
zu verspeisen.
So fand sie Hazee, das Eichhörnchen-Mädchen. „Schmeckt es?”,
fragte sie fröhlich.
“Danke, vorzüglich”, antwortete Saha und kaute in aller
Gemütsruhe weiter.
Hazee lachte herzlich. „Das sehe ich.” Sie warf ihr
haselnussbraunes Haar über die Schultern und klatschte übermütig in die Hände.
„Heute wird ein toller Tag. Das spüre ich” , behauptete sie. Sie war das
frechste Wesen, das Saha kannte. Aber man konnte Hazee einfach nicht böse
sein. Sie war zwar eine Unruhestifterin, aber eine mit unschlagbarem Charme.
Überall, wo sie auftauchte, lag Spannung in der Luft, und viele der älteren
Insekten hoben empört die Augen zum Himmel, wenn Hazee ihre kessen Sprüche vom
Stapel ließ. Sie war eine schwatzhafte Göre, aber wen sie einmal in ihr Herz
geschlossen hatte, konnte sich ihrer absoluten Loyalität sicher sein.
Saha mochte sie. Gerade weil Hazee war, wie sie war. Zwar keine
so enge Freundin wie Barb, aber eines der Wesen, die ihr in dieser Welt am
meisten bedeuteten.
„Was ist los, Hazee? Hast du wieder mal etwas angestellt oder
heckst du etwas aus?”
Das Eichhörnchen-Mädchen kicherte und hielt seine possierliche
Pfotenhand vor den Mund. „Ich habe Kasur ein wenig gefoppt.”
Saha grinste. Mit Kasur war nicht zu spaßen. Die giftgrüne
Schlange war eigentlich ständig übler Laune. Sie trug stets ein ernstes
Gouvernantengesicht zur Schau. Und das gab Hazee und ihren Geschwistern immer
wieder Anlass, sie zu ärgern. Es forderte die Eichhörnchen geradezu heraus, ihr
Streiche zu spielen.
Saha lachte. „Was habt ihr Kasur jetzt wieder angetan?”
In Hazees Gesicht zuckte es. „Wir haben ihr Baumzapfen an die
Schwanzspitze gebunden. Als sie losschlängeln wollte, ist sie überall angeeckt und
hat einen Höllenlärm veranstaltet. Na, das war vielleicht ein Spaß. Ich könnte
mich jetzt noch totlachen!”
Saha schüttelte den Kopf. „Na, du bist mir vielleicht eine
Verrückte”, sagte sie halbherzig. Innerlich amüsierte sie sich über Hazees
Streiche köstlich, und sie freute sich immer, wenn das Eichhörnchen-Mädchen ihr
einen Besuch abstattete. Aber an diesem Tag hatte Saha keine Zeit für sie. Sie
wollte sich auf den Weg zu Shirkan machen, um ihn endgültig zu überreden, mit
ihr auf die Reise in die Fünfte Welt zu gehen. Daher schenkte sie Hazee ein
entschuldigendes Lächeln. „Tut mir leid, aber ich habe heute keine Zeit.”
Hazee war kein bisschen beleidigt. „Ist schon
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