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Regulator: Roman

Regulator: Roman

Titel: Regulator: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Ralph hatte den Daumen im Mund. Seine Augen wirkten glasig und apathisch. Belinda hatte ihn nie besonders gut leiden können und kannte niemanden in der Straße, der ihn leiden konnte (ausgenommen seine Eltern, dachte sie), aber dennoch rührte der Anblick ihr Herz. »Was können wir uns sparen?« fragte Johnny. »Den Lichtschalter. Der Strom ist ausgefallen.« Sie glaubte ihm, drückte aber trotzdem mehrmals auf den Schalter. Nichts.
    Es waren eine Menge Leute in diesem Zimmer - sie zählte elf, sich selbst eingeschlossen -, aber durch das dumpfe Schweigen schienen es weniger zu sein. Ellie Carver gab immer noch ab und zu ein feuchtes Schluchzen von sich, aber sie hatte das Gesicht an der Brust ihrer Mutter liegen, und Belinda hielt es für möglich, daß sie tatsächlich schlief. David Reed hatte einen Arm um Susi Geller gelegt. Auf der anderen Seite saß ihre Mutter, die ebenfalls einen Arm um sie gelegt hatte. Glückliches Mädchen, dachte Belinda, so viel Trost. Cammie Reed, die Mutter der Zwillinge, saß mit dem Rücken an einer Tür mit der Aufschrift DIE ALTE SPEISEKAMMER. Belinda dachte, daß Cammie vielleicht nicht ganz so weggetreten war wie die anderen; ihre Augen hatten einen kalten, nachdenklichen Ausdruck. »Du hast gesagt, du hättest Schreie gehört«, sagte Johnny zu Susi. »Ich höre keine Schreie.« »Sie haben aufgehört«, sagte das Mädchen niedergeschlagen. »Ich glaube, es war Mrs. Soderson.« »Klar war sie es«, sagte Jim. Er schob Ralphie auf seinem Schoß ein Stück weiter, wobei er das Gesicht verzog. »Ich habe ihre Stimme erkannt. Wir haben uns fast unser ganzes Leben anhören müssen, wie sie Gary angeschrien hat. Richtig, Dave?
    Dave Reed nickte. »Ich hätte sie schon längst umgebracht. Im Ernst.«
    »Ah, aber du schluckst ja nicht, mein Junge«, sagte Johnny mit seiner besten W.-C.-Fields-Stimme. Er nahm das Telefon in der Küche vom Hörer, horchte, drückte ein paarmal auf die Null-Taste und legte wieder auf. »Debbie ist tot, richtig?« wandte sich Susi an Belinda. »Psst, Baby, nicht«, sagte Kim Geller mit erschrockener Stimme.
    Susi beachtete sie nicht. »Sie ist gar nicht nach nebenan gelaufen. Oder? Lügen Sie mich nicht an.« Belinda überlegte, ob sie genau das tun sollte - Susi erinnerte sie ein wenig an Bruder Rabbit, der bettelte, nicht in den Dornenstrauch geworfen zu werden -, aber irgendwie schien es nicht die richtige Vorgehensweise zu sein. Sie hatte die Erfahrung machen müssen, daß selbst gutgemeinte Lügen meist alles nur noch schlimmer machten. Noch verrückter. Belinda fand aber, daß die Lage in der Poplar Street schon verrückt genug war.
    »Ja, Liebes«, sagte sie und staunte, was für einen ausgeprägten Südstaatenakzent ihre Stimme stets annahm - je denfalls für ihre Ohren -, wenn sie jemandem eine schlechte Nachricht überbringen mußte. Vielleicht war das eine existentielle Erfahrung von Schwarzen, über die noch niemand in einem College-Kurs unterrichtet hatte. Ihr Fall wurde dadurch besonders interessant, daß sie in ihrem ganzen Leben noch nie südlich der Mason-Dixon-Linie gewesen war. »Ja, Liebes, ich fürchte, das ist sie.« Susi schlug die Hände vor das Gesicht und fing an zu schluchzen. Dave Reed zog sie zu sich, und Susi legte den Kopf an seine Schulter. Als Kim versuchte, sie zurückzuziehen, machte sie sich steif und widersetzte sich. Ihre Mutter warf David Reed einen bösen Blick zu, den der Junge überhaupt nicht mitbekam. Statt dessen wandte sie sich zornig an Belinda. »Warum haben Sie ihr das gesagt?« »Das Mädchen liegt gleich da draußen auf der Treppe, und mit dem roten Haar ist sie schwer zu übersehen.« »Still jetzt«, sagte Brad zu ihr. Er nahm sie am Handgelenk und zog sie zur Spüle. »Mach sie nicht wütend.« Oh Lieber, du kommst zu spät, dachte Belinda, sagte aber klugerweise nichts.
    Über der Spüle befand sich ein Fenster. Wenn sie nach rechts hinausschaute, konnte sie den Lattenzaun sehen, der das Grundstück der Carvers von dem abtrennte, das Doc gehörte. Außerdem konnte sie das grüne Dach von Billingsleys Haus sehen. Die Wolken darüber schienen bereits aufzureißen. Sie drehte sich um, stemmte sich hoch und saß seitlich auf der Spüle. Dann beugte sie sich so dicht an das Fliegengitter, daß sie das Metall und die feuchte Sommerluft riechen konnte, die durch das Drahtgeflecht hereinwehte. Die beiden Gerüche beschworen für kurze Zeit Sehnsucht nach ihrer Kindheit herauf, ein ebenso angenehmes wie

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