Regulator: Roman
an, wobei sie immer noch durch einen Honigfilm atmete, es aber vorübergehend gar nicht merkte. Ihr Herz schlug etwas schneller bei dem Wort fort. Sie sollte es besser wissen, zumal nach dem, was eben geschehen war, aber -»Ist er in einem Bau, Liebling? In einen Bau gegangen? Willst du das damit sagen? Was für einen Bau?« »Bau«, wiederholte Seth. Er bemühte sich und warf den Kopf von einer Seite auf die andere. Schließlich: »Bauen.
Machen.«
Bauen. Nicht Bau, sondern bauen, das Verb. Tak baute. Tak machte etwas. Was machte er ... außer Ärger? »Er«, sagte Seth. »Er. Er. Er -!«
Der Junge schlug sich mit einer Frustration selbst auf den Oberschenkel, die sie noch nie an ihm gesehen hatte. Sie nahm die Faust, mit der er sich geschlagen hatte, und öffnete sie sanft wieder zur Hand.
»Nein, Seth.« Ihr Zwerchfell zog sich wieder zusammen, aber sie unterdrückte den Würgereflex - der Honig lag ihr wie ein schwerer Stein im Magen. »Liebes, nicht. Ganz ruhig. Sag es mir, wenn du kannst. Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm.« Eine Lüge, aber wenn sie ihn noch mehr unter Druck setzte, würde er es nie herausbekommen. Schlimmer, er könnte sich wieder zurückziehen. Zurückziehen und die behagliche freie Nische hinterlassen, die Tak so gerne bewohnte.
»Er -!« Seth streckte die Hände aus, berührte ihre Ohren. Dann legte er die Handrücken hinter seine eigenen Ohren und drückte sie nach vorne. Sie sah, daß sie nach den vielen Stunden im Sandkasten ebenfalls schmutzig waren -sandig -, und da brannten Tränen in ihren Augen. Aber er sah sie erwartungsvoll an, und sie nickte. Ja, sie hatte begriffen. Wenn Seth sich wirklich anstrengte, konnte er ziemlich gut sein - jedenfalls so gut er sein mußte. Er hört dir zu, wollte der Junge sagen. Tak hört dir mit meinen Ohren zu. Selbstverständlich tat er das. Tat es das. Tak der Glorreiche, ein Geschöpf mit tausend Stimmen, die meisten im bärbeißigen Westerntonfall, und einem Paar Ohren.
Tak hatte sich vor ihr niedergelassen, aber es war Seth, der wieder aufstand, nur ein magerer kleiner Junge in schmutzigen Unterhosen. Er ging zur Tür, drehte sich aber wieder um. Audrey selbst kauerte noch auf den Knien und überlegte, ob sie von hier aus nach dem Tresen greifen oder erst noch ein Stückchen näher hinkriechen sollte. Sie zuckte zusammen, als sie ihn zurückkommen sah, und dachte, Tak wäre zurückgekommen, weil sie den harten Glanz seiner Intelligenz in Seths Augen zu erkennen glaubte. Als er näherkam, stellte sie fest, daß sie einen verzeihlichen Fehler gemacht hatte. Seth weinte. Sie hatte ihn noch nie weinen gesehen, nicht einmal, wenn er mit aufgeschürften Knien oder einer Beule am Kopf zu ihr kam. Bis eben war sie nicht ganz sicher gewesen, ob er überhaupt weinen konnte. Er legte die Arme um ihren Hals und ließ seine Stirn gegen ihre fallen. Es tat weh, aber sie wich nicht zurück. Einen Augenblick sah sie das verschwommene, aber sehr nachdrückliche Bild eines roten, zu enormer Größe angewachsenen Telefons. Dann verschwand es, und sie hörte Seths Stimme in ihrem Kopf. Sie hatte schon mehrfach gedacht, daß sie ihn hören könnte, daß er versuchte, telepathisch mit ihr in Verbindung zu treten. Das Gefühl empfand sie am stärksten, wenn sie kurz vor dem Einschlafen war oder gerade erwachte. Aber stets weit entfernt, wie eine Stimme, die durch Nebelbänke ruft. Aber nun schien die Stimme erschreckend nahe zu sein. Es war die Stimme eines klugen, nicht im geringsten behinderten Kindes. Ich mache dir keinen Vorwurf, daß du weglaufen wolltest, sagte die Stimme. Audrey spürte einen Eindruck von Hast und Verstohlenheit. Es war, als würde sie einem Schüler zuhören, der seinem Klassenkameraden hastig wichtigen Klatsch und Tratsch zuflüstert, während die Lehrerin ihnen den Rücken zudreht. Geh zu den anderen, denen auf der anderen Straßenseite. Du mußt warten, aber es wird nicht lange dauern. Weil er -
Keine Worte, aber ein anderes verschwommenes Bild, das ihren ganzen Kopf ausfüllte und vorübergehend alle anderen Gedanken verdrängte. Es war Seth. Er trug das Kostüm eines Narren und eine Mütze mit Glöckchen. Er jonglierte. Keine Bälle, Puppen. Kleine Porzellanpuppen. Hummel-Figuren. Aber erst, als er eine fallenließ, die zerschellte, und sie das zerbrochene Gesicht von Mary Jackson neben den rotweißen Schnabelschuhen des Narren liegen sah, wurde ihr bewußt, daß es die Puppen ihrer Nachbarin waren. Sie dachte, daß sie selbst
Weitere Kostenlose Bücher