Reibereien
sich den Schnapsflaschen zu.
Sie sind erbärmlich, diese alten Saftsäcke. Keiner von ihnen rührt den Finger, während einer aus ihrer Clique in einem durch Trunksucht verursachten Wutanfall seine väterliche Autorität mißbraucht. Ich kann die negativen Schwingungen spüren, die von ihnen ausgehen, den Nachdruck, mit dem sie mir zu verstehen geben, daß ich nicht zu ihnen gehöre. Aber warum haben sie uns dann ins Leben gesetzt, und warum sollten wir sie bemitleiden?
Daher bin ich gezwungen einzugreifen. Weil ich gewisse Dinge mit Cecilia teile, Dinge, die nicht jeder verstehen kann und die zu erklären zuviel Zeit erfordern würde. Auf jeden Fall gehe ich auf die Treppe zu.
In diesem Augenblick kommt Roger aus dem Zimmer. Er schlägt die Tür hinter sich zu und schließt Cecilia ein. Als wären wir im Mittel- alter. Und das in dieser grotesken Umgebung.
»So haben wir wenigstens unsere Ruhe«, ver kündet er, während er die Treppe herab- kommt. »Jetzt haben wir unsere Ruhe.«
Er geht ganz nah an mir vorbei, ohne mich anzublicken, als gäbe es mich nicht, reibt sich die Hände und wendet sich mit einem zufriedenen Lächeln den anderen zu.
Jemand hat die Musik wieder angestellt.
Wäh rend Roger sein Abenteuer erzählt und für die Art, wie er die Sache in die Hand genommen hat, von allen Seiten Anerkennung erhält, kommt meine Mut ter mit verärgerter Miene auf mich zu. Ich weiß nicht, ob sie mir etwas sagen will, denn ich emp fange sie mit einer kalten Dusche: »Ist das alles, was du gefunden hast? Hatten sie nicht eine Nummer größer?« Ich ernte ein paar böse Blicke, aber das ist mir egal. Sie wenden sich wieder ab. Meine Mutter wird bleich, dreht sich auf dem Absatz um und geht davon. Ich rufe ihr nach: »Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, dir zu gratulieren.« Aber sie tut, als hätte sie nichts gehört.
»Nun übertreib's aber nicht«, flüstert mir Olga zu, die inzwischen ihren Platz eingenommen hat. »Verdirb ihr nicht alles.«
»Was sagst du da? Ich habe wohl nicht richtig gehört?«
»Nun mal sachte, Junge, okay? Warum mußt du immer gleich aufbrausen!«
»Ja, ja. Natürlich. Nun bin ich wieder schuld. Geh mal lieber wieder zu deinen Freunden.«
»Was kannst du bloß gemein sein! Verstehst du denn nicht, daß es deiner Mutter guttut? Bist du eigentlich blind?«
»Guttun nennst du das? Genau das, was sie braucht, hm? Was Besseres konnte sie wirklich nicht finden, ehrlich!«
»Das ist leicht gesagt. Sehr leicht gesagt.«
Olgas Sprüche über Frauen um die Vierzig, die noch nicht unter der Haube sind, kenne ich. In den ganzen letzten Jahren hat sie mir stundenlang die Ohren damit vollgequatscht. Deren Ängste, deren Bedürfnisse, deren Irrtümer, die man mit Nachse hen beurteilen und am Ausmaß ihrer Verzweiflung messen müsse — im Klartext: Laß mich mit diesem Idioten vögeln, denn die Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage. All das habe ich schon off genug gehört.
»Im Grunde denkst du nur an dich«, sagt sie. »Du denkst nur an dich. Dein Egoismus kann ei nem richtig angst machen, das ist alles, was ich dir zu sagen habe.«
»Mehr hast du mir nicht zu sagen?« erwidere ich. »Ich erkenne dich ja kaum wieder.«
Ich kriege schon wieder einen gereizten Blick ab. Seit Sonnenuntergang häufen sie sich derart, daß ich mir eine Kette daraus basteln könnte, die mir bis zum Bauch reicht. Olga geht zu den anderen. In weniger als einer Minute habe ich die beiden einzigen Stützen verloren, auf die ich unter den Anwesenden vielleicht noch hätte zählen können.
Ein Mann in einem altrosa Polohemd von Ralph Lauren macht einen Versuch: »Komm und trink lieber einen mit uns«, schlägt er vor. »Zieh dich nicht in dein Schneckenhaus zurück.«
»In was?« frage ich und verzerre dabei das Ge sicht.
»In nichts«, seufzt er nach kurzem Zögern. »Mach doch, was du willst.«
»Was soll ich?«
Sobald ich ihn losgeworden bin, gehe ich in den ersten Stock zu Cécilias Zimmer.
Es versteht sich von selbst, daß es dabei nicht nur um Cécilias Schicksal geht, sondern um viel mehr, es handelt sich um etwas Komplexes – um meine Ruhe zu haben, habe ich Utte eines Ta- ges ei genhändig im Badezimmer eingesperrt, und zwar als sie so hysterisch geworden war, daß sie mir das Telefon aus der Hand reißen wollte, dabei sprach ich gerade seelenruhig mit meiner Mutter, und Utte ist daran auch nicht gestorben. Es handelt sich, wie gesagt, um etwas Komplexes, um einen Schleier, der sich über meine
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