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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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einen Mo ment Zeit habe.
    Ich nickte und führte ihn zu seiner Patientin, die gerade dabei war, ihre Beine aufmerksam zu stu dieren - sie hatten den ganzen Herbst lang das Stadtbild beherrscht, ihren wohlverdienten Platz in den Zeitschri ft en eingenommen, und sie wollte nicht, daß sich das änderte. Als wir vor ihr standen, blickte sie uns sichtlich zufrieden an. Ich dachte, daß wir es wohl nicht mehr packen würden und die Würfel ein für allemal gefallen waren - nicht nur wegen dieser Geschichte, sondern ganz allgemein, ich hatte einfach das Gefühl, daß es unmöglich war, das Gefühl, daß die Sache nie wieder ins Lot kommen konnte und die Falle zuschnappte.
    Er beugte sich über ihre Augen, während mir der Gedanke durch den Kopf ging, daß vielleicht auch er auf der langen Liste stand. Sie kannten sich schon eine ganze Weile, bevor sie mich zum ersten Mal erblickt hatte, und er ging in unserem Haus ein und aus, lieh sich CDs oder benutzte unseren Swimmingpool, wenn die Abende zu heiß waren. Als er mich eines Tages in seiner Praxis wegen ei ner Armverletzung - nach einem Sturz aus einer Höhe von mehreren Metern - behandelte, meinte er, daß ich ein cooler Typ sei und er froh für Sonia sei, daß ich so ein cooler Typ sei, was man nicht von vielen Leuten sagen könne. Deshalb mache es auch nichts aus, daß niemand so recht wisse, wo ich herkäme, deshalb sei ich auf keinen Widerstand ge stoßen. Und deshalb habe ich mit zweiunddreißig eine der hübschesten Frauen der Stadt mit dem Segen aller ihrer Freunde heiraten können.
    Ich goß einen Schuß Gin in mein Perrier, denn die Sonne war gerade hinter den Bäumen verschwun den. Dann ging ich zu ihnen, und Boris verkündete, daß alles wieder in Ordnung sei und wir uns keine Sorgen mehr zu machen bräuchten.
    Sonia beruhigte ihn in diesem Punkt sogleich. Sie behauptete, ich hätte mir nicht eine Sekunde lang Sorgen gemacht, sondern alles getan, um ihr zu beweisen, daß sie die ganze Sache geträumt habe. Ich begnügte mich mit einem Lächeln, um zu zeigen, daß ich angesichts einer solchen Behauptung die Waffen streckte und es nicht für nötig hielt, die Wahrheit wiederherzustellen. Sie seufzte.
    Als ich Boris zurückbegleitete, verzog er das Ge- sicht zu einer Grimasse. »Also hör zu«, sagte er, »laß uns nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich will offen mit dir sein.«
    Er wartete anscheinend auf eine Reaktion von mir. Ich nahm mir vor, ihm die Tür aufzuhalten, falls er nicht bald mit der Sache herauskam. Er biß sich auf die Lippen: »Hör zu, du mußt mir etwas Aufschub gewähren.«
    Ich starrte ihn einen Augenblick an.
    »Ich brauche ein bißchen Zeit«, erklärte er. »Nicht zuviel, hoffe ich.«
    Nachdem er fort war, versuchte Sonia es noch einmal. Genauer gesagt, ich überraschte sie dabei, wie sie die Taschen meiner Jacke durchsuchte.
    »Was suchst du?« fragte ich sie.
    Ohne die Fassung zu verlieren, erwiderte sie, daß jeder zwangsläufig irgendwann einen Fehler be- gehe und ich mich irre, wenn ich sie für bekloppt halte.
    »Kenne ich sie?« fuhr sie fort. »Tust du das, um dich zu rächen?«
    Ich ließ den Blick eine Weile über den rötlich ge färbten Garten schweifen, über die Spiegelungen im Swimmingpool, über den zwanzig Quadratzentimeter großen Streifen Ozean zwischen dem Laub der Bäume und der Hecke, die Sonia mit Hil fe einer Gartenschere vom Gestrüpp befreit hatte, ehe ihr eine bösartige Kobra ins Gesicht gesprun gen war.
    »Sehe ich etwa aus wie eine Giftschlange? Siehst du mich so? Was ist denn bloß mit dir los?«
    »Weil ich so gelitten habe und du nicht da warst. Wo warst du? Ich habe das Recht zu e r- f ahren, wo du warst. Während ich den Ein- druck hatte, der Kopf würde mir zerspringen. Ich frage mich, ob ich dich eigentlich wirklich kenne. Das ve rf olgt mich schon den ganzen Tag. Ich will wissen, wer du wirklich bist«
    »Ich war bei der Arbeit. Wie fast alle Leute. Das ist alles. Es war ein ganz normaler Tag. Ich hatte eine Vertreterbesprechung.«
    Ich ging los und schenkte uns etwas zu trinken ein, um uns einen allzu unangenehmen Abend zu ersparen, aber bei Sonia konnte man nie wissen, ihre Reaktionen waren unvorhersehbar.
    Sie waren im übrigen derart unvorhersehbar, daß es inzwi schen soweit mit uns gekommen war. Sonia be hauptete, sie könne nichts dagegen machen, es tue ihr leid. Das nervte mich ziemlich.
    »Ich tue, was ich kann«, erklärte ich und reichte ihr ein Glas. »Das kann eine Weile dauern.

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