Reibereien
Taschenlampe auf mein Gesicht. Das bringt ihn zum Lachen. Ich nehme die Ruder, und wir entfernen uns vom Ufer.
»Siehst du, wohin das führt?« sagt er. »Siehst du, was passiert, wenn man keine Grenzen kennt?«
»Kann ich die Lampe haben?«
Er leuchtet nach links und nach rechts und sagt mit einer Grimasse: »Du brauchst keine Lampe. Das bringt überhaupt nichts. Stimmt's, oder habe ich recht?«
In Wirklichkeit ist er noch betrunkener, als er aussieht. Er ist scharlachrot, und seine Augen glänzen wie Nagellack. Ich rudere aufs Geratewohl wei ter und schlucke meinen Ärger hinunter. Mir ist warm und zugleich eiskalt. Roger liegt über den Bug gebeugt und spielt mit seiner Lampe herum, beleuchtet ziellos das Wasser, wenn er nicht gerade den Strahl auf mein Gesicht richtet, um zu sehen, wie ich reagiere. Ganz einfach um mich zu nerven, wie einer, der seinen Spaß daran hat, einen Hund hinter einem Gitter zu reizen.
»Können Sie nicht mal fünf Minuten damit aufhören?« frage ich ihn. »Glauben Sie nicht, daß wir was anderes zu tun haben?«
Er beugt sich zu mir vor und sagt: »Was haben wir denn zu tun? Du willst mich wohl verarschen!«
»Hören Sie zu. Wir sind dabei, Ihre Tochter zu suchen. Vergessen Sie das nicht.«
»Meine Tochter? Was für eine Tochter? Sie ist nicht meine Tochter.«
Ich drehe nach rechts ab. Das Ufer scheint weit entfernt zu sein.
»Wenn sie meine Tochter wäre«, fügt er hinzu, »dann säßen wir jetzt nicht hier, das kannst du mir glauben. Die hätte nicht so eine Meise wie die da.«
»Na, ich hoffe, sie hat das gehört«, sage ich. »Ich hoffe, sie kriegt das alles mit.«
»Na und? Glaubst du vielleicht, mir würde das leid tun? Glaubst du, ich hätte nichts Besseres zu tun, als mich mit Gewissensbissen herumzu- schlagen? Sie hat mich jahrelang von morgens bis abends total verrückt gemacht. Tag für Tag. Ich habe von Anfang an nur Ärger mit ihr gehabt. Glaubst du wirklich, ich würde ihr nachweinen?«
Trotz der Seeluft habe ich den Eindruck, daß ich seinen nach Wein stinkenden Atem spüren kann. Eine Möwe kommt im Sturzflug auf uns zu und fliegt dann wieder davon.
»Aber doch wenigstens ein bißchen«, erwidere ich.
»Na gut, dann würde ich sagen, dieser Ausflug im Boot ist dieses bißchen. Mehr habt ihr nicht verdient.«
Ich bin an einen Bekloppten geraten. Anderer seits gibt es davon so viele, daß es mich nicht ein mal wundert. Ich muß an Cecilia denken, die ihr ganzes Leben mit so einem Arsch verbracht hat. Und dieser Typ schläft mit meiner Mutter. Und ich sage mir, wenn es soweit mit ihr gekommen ist, dann ist es schlimm. Dann ist sie ganz schön tief gesunken.
»Ich weiß, was du denkst«, sagt er zu mir.
»Jetzt, in diesem Augenblick. Ich weiß genau, was du denkst.«
»Das mag sein«, erwidere ich. »Aber wollen Sie nicht erst mal antworten? Ihr Handy klingelt.«
Er wühlt in seinen Taschen, ohne mich aus den Augen zu lassen.
»Ich rate dir, uns nicht in die Quere zu kommen, deiner Mutter und mir. Das ist ein freund- schaftli cher Rat. Komm uns nicht in die Quere. Denn ich weiß genau, was du denkst.«
Sein Handy klingelt jetzt nicht mehr, und man hört eine Autohupe. Ich wende mich um und blicke zum Ufer, das von kleinen blassen Lichtern übersät und von einem schmalen Streifen grauen Schaums gesäumt ist.
»Ich lasse mir das Leben vielleicht einmal versauen, aber nicht zweimal«, erklärt er.
Ich versuche zu sehen, was am Strand vor sich geht, und die Stelle wiederzufinden, an der wir das Auto geparkt haben. Aber das interessiert ihn überhaupt nicht.
»Glaubst du vielleicht, daß sie dir gehört, du Arsch, hm?«
Ich wende mich ihm zu. Ihm rinnt zwar noch nicht der Speichel aus dem Mund, aber das dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ich spüre, daß er sich auf mich eingeschossen hat, als sei ich die Verkörperung all seines Hasses. Ich glaube, er ist jetzt in dem Alter, in dem man einen Schuldi gen finden muß. Und das trifft ausgerechnet mich.
Ich starre ihn wortlos an und beginne wieder aufs Ufer zuzurudern, von wo eine Leuchtrakete im Zickzack aufsteigt und einen Augenblick über unseren Köpfen zum Stillstand kommt.
»Glaubst du, das lasse ich mir gefallen?«
»Ich hab keine Ahnung. Die Frage stelle ich mir nicht.«
Woraufhin er versucht, mir einen Fußtritt zu ver- setzen. Aber da er auf dem Boden des Boots sitzt und betrunken ist und ich auf der Hut bin, stellt sich heraus, daß sein Bein zu kurz, zu schwer und zu langsam
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