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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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reagierte nicht darauf und igno rierte mich völlig.
    »Möchtest du, daß wir jetzt darüber reden?« fragte ich sie.
    »Nein. Ich habe keine Lust, mit dir zu reden.«
    Im gleichen Augenblick kehrten die Dorcets heim. Wir winkten uns zu und wechselten ein paar freundliche Worte, während sie auf die Haustür zugingen - Dora zog bereits ihre Schuhe aus und hüpfte mit ihrem lauten unnachahmlichen Lachen über den Weg.
    Ich wollte erneut etwas sagen, doch Sonia befahl mir zu schweigen. Was vermutlich besser war, denn es gab nichts zu sagen. Ich sah zu, wie sich die Tür hinter den Dorcets schloß, und dachte an unsere Tür, die wir auch gleich hinter uns schließen wür den, hinter uns und dem unergründlichen, lächerli chen Geheimnis unseres Lebens. Das helle Licht des anbrechenden Tages kündete spiegelglatte Wüsten an, nirgends war ein Anhaltspunkt, der uns zu erkennen gegeben hätte, ob wir vorankamen und in welche Richtung wir gehen mußten.
    Sonia und ich waren wie erstarrt - sowohl aufgrund dieser bitteren Feststellung und der Verzweiflung, in der wir uns beide wie tollwütige dumme Hunde wälzten, wie fast alle Menschen in unserem Alter, als auch wegen des Tageslichts, das uns überflutete und uns die Illusion vermittelte, es würde uns die Kraft geben, das zu überstehen, was auf uns zukam.
    Sonia und ich schwankten und taumelten ver wirrt, als das Haus der Dorcets explodierte. Ein Feuerball setzte die Umgebung in Brand, und die Druckwelle schleuderte uns in die Luft.
    Als ich aufstand, stellte ich fest, daß meine Frau tot war.
     
     
     
     
    E ines Morgens stürzte Sandra in die Buch- handlung, als sei ihr der Teufel auf den Fersen. Corinne, die auf einer Trittleiter stand, erstarrte.
    Wir hatten gerade das Schaufenster putzen lassen, was zur Folge hatte, daß sich das gleißende Tageslicht in seiner ganzen be- glückenden Schönheit ins Innere ergoß.
    Dann ließ sich Sandra auf einen Tisch sinken, auf dem wir die Neuerscheinungen präsentierten, insbesondere Frauenliteratur, und brach in Tränen aus.
    Ihr Vater und ihre Mutter waren in der vergangenen Nacht beim Brand ihres Bungalows ums Leben gekommen, bei lebendigem Leib verbrannt, ein knappes Jahr, nachdem sie in den Ruhestand getreten waren.
    Als ich das meiner Mutter erzählte — diesmal war sie um drei Uhr morgens ein paar Schritte von ihrer Wohnung entfernt gegen einen Baum gefahren und hütete seit einer Woche mit zahlreichen Prellungen das Bett, und zwar in einer Klinik, dessen Leiter ich kannte—, blieb sie einen Augenblick stumm, dann zuckte sie die Schultern und erklärte, daß man, wenn man in den Ruhestand trete, bereits mit einem Bein im Grab stehe.
    Mit sechzig machte sie sich allmählich Sorgen um die Zeit, die verging, und manchmal zeichnete sich in ihren Mundwinkeln eine Falte der Verbitterung ab. Ich dachte, daß ihr etwas Arbeit durchaus guttun könne.
    Die Kunden der Buchhandlung waren in der Mehrzahl Frauen, und jetzt, da Corinne und Sandra nicht da waren, begnügte ich mich damit, hinter der Kasse zu sitzen, während sich die Frauen mit meiner Mutter unterhielten. Ich kümmerte mich auch um die Hündin Beatrice, die es auf dem Land nicht aushielt und im Laden oder in der Wohnung der beiden ein Stockwerk höher herumlungerte, wäh rend ihre Herrinnen die Familienangelegenheiten regelten und die Beerdigung in irgendeinem Nest im sonnigen Süden organisierten. Ich führte sie aus. Abends machte ich mit ihr einen langen Spazier gang durch die Stad t, kehrte irgendwo ein, um et was zu trinken, und dann gingen wir heim. Ich brachte sie in die Wohnung zurück. Ich glaube, daß sie mich gern mochte.
     
    Nach einer Woche hatte das Gesicht meiner Mutter wieder ein bißchen Glanz bekommen, und die beiden Mädels riefen an, um zu hören, ob alles in Ordnung sei - sie schienen anläßlich ihres Aufenthalts in einem kleinen romantischen Hotelzimmer eine neue Leidenschaft füreinander entdeckt zu haben und hatten es offensichtlich nicht eilig zurückzukommen.
    Eines Abends, als wir gerade die Buchhandlung schließen wollten, griff Beatrice meine Mutter an.
    Sie war eine ziemlich große Hündin mit furchterregenden Zähnen. Wir begriffen nicht, was in sie gefahren war. Bei dem Angriff stürzte meine Mut ter rückwärts auf den Boden, und aus ihrem Arm spritzte Blut.
    Ich hatte schon früher einmal einen Hund getö tet. Als das Tier über meine Mutter herfiel und sein Knurren mit ihrem Geschrei verschmolz, schnapp te ich mir die Bronzefigur

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