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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Grunde ist es genau das, was sie will. Was sie immer schon gewollt hat. Weißt du, ich komme ihr allmählich auf die Schliche.«
    Ich betrachtete sie einen Augenblick und dach te, daß auch sie das gefunden hatte, was sie schon immer haben wollte: reiche Liebhaber und zahl reiche Bettgeschichten, keinen Ehe- mann und kei ne Kinder am Hals, die ihr das Leben schwerma chen könnten. Dann fragte ich mich, ob es einem letzt li ch nicht immer gelang, das zu bekommen, was man aus tiefstem Herzen begehrte.
    Auf jeden Fall kannte sie jemanden, der Vincent aus dem Gefängnis holen konnte.
    Als wir ihn in Empfang nahmen, sah er aus, als sei er aus einem Zug gestürzt und über eine Schot terböschung gerollt. Er war struppig, zerlump t, sein Gesicht war schmutzig, aufgeschwemmt, rot, zerschrammt, und ihm fehlte ein Schuh.
    »Derek bringt das wieder in Ordnung«, erklär t e Olga, während ich mit Vincent auf den Ausgang zuging und sie in einem Winkel einen Inspektor an die Brust drückte, um ihm für sein Eingreifen zu danken.
    Draußen im Tageslicht blinzelte Vincent mit den Augen. Ich verfrachtete ihn auf die Rückbank, oh ne ein Wort zu sagen. Es war schließlich nicht meine Aufgabe, ein Gespräch mit ihm zu führen.
    Er musterte die Straße mit düsterer Miene, bis wir an einer Kreuzung haltmachten.
    »Ich bin gefeuert worden«, informierte er uns. Olga fuhr mit einem Ruck an und hä tt e dabei fast einen Fußgänger umgemangelt.
    »Das kann jedem passieren«, erwiderte ich.
    Ich legte einen Arm auf die Autotür, den anderen hinter Olgas Nacken und wartete darauf, daß er uns mehr erzählte.
    »Du bist nicht sehr gesprächig«, sagte ich zu ihm.
    Er war haargenau wie mein Vater. Soweit ich mich entsinnen konnte. Ich mußte an Ge- spräche zurückdenken, die wir geführt ha tt en, bei denen jeder von uns nur mit Mühe drei Worte über die Lippen gebracht hatte.
    Wir fuhren schon eine ganze Weile, als er einräumte, daß er wegen seiner plötzlichen Entlassung möglicherweise ein bißchen zuviel getrunken hatte. Jedenfalls erinnerte er sich nicht, wer mit der Schlägerei angefangen hatte.
    »Ja, Vincent, aber wenn die Bullen auftauchen, hört man besser auf. Wenn man keine Scherereien haben will, verduftet man besser schnell.«
    Ich bat Olga anzuhalten, um ihm ein Paar Schu he zu kaufen, aber er wollte nicht mitkommen.
    »Also, was soll ich nehmen?« fragte ich ihn.
    »Schnürschuhe oder Mokassins? Was ist dir lie ber?«
    Als ich in dem Geschäft war, fiel mir ein, daß mein Vater manchmal violette Schuhe getragen hat te.
    Vincent sonnte sich, den Kopf im Nacken, und ich rief ihm zu: »He! Sie haben nur noch violette Schuhe in deiner Größe. Ist das schlimm?«
    Als wir den Wagen vor Dereks Salon abstellten, betrachtete Vincent noch immer seine Mokassins mit einer Miene zunehmender Befrie- digung. Als er sie auf dem Bürgersteig ausprobierte, schien er entzückt zu sein, und ich war es auch.
    Derek begleitete eine dicke Frau in Polizeiuni form zur Tür und erklärte dann, daß er eine Stunde brauche, um Vincent wieder zu einem menschenwürdigen Aussehen zu verhelfen.
    Ich blickte auf die Uhr und erklärte, das sei in Ordnung, und ging dann in die Bar gegenüber, um Kaffee und Aspirin zu holen.
    Als ich zurückkam, nutzte er die Tatsache, daß sich Olga und Derek hinten im Salon unter- hielten, um sich bei mir für den Ärger zu entschuldigen, den er mir bereite. »Was soll deine Mutter mit ei nem Arbeitslosen anfangen?« fügte er zähneknirschend hinzu. »Was passiert jetzt?«
    »Nicht viel, nehme ich an. Nein, ich glaube nicht, daß ihr das was ausmacht.«
    Ich bot ihm an auszuhelfen, falls er in Geldschwierigkeiten sei. Ich erinnerte mich an die Geld bündel, die mein Vater uns bei jedem seiner Besuche daließ. Ich fand es angenehm, die Rolle des guten Sohns zu spielen. Vor allem, wenn man sich nicht ganz unschuldig fühlte.
    Er hatte sich fein gemacht, um Lili tanzen zu sehen. Seine Hose war zwar nicht frisch gebügelt, aber seine Schuhe waren tadellos.
    Meine Mutter fand meine Initiative von etwas zweifelhaftem Geschmack, aber das blieb unter uns. Während sie an seiner Seite der Aufführung zusah, starrte sie jedoch immer wieder darauf. Manchmal mit ungläubiger Miene. »Deine Angeber- schuhe«, hatte sie oft zu meinem Vater gesagt, um ihn zu foppen. »Du und deine Angeberschuhe.«
    Und als er Lili in die Arme nahm. Als er hinter her Lili in die Arme nahm, um ihr zu gratulieren, erhaschte ich den Blick meiner Mutter.

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