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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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überwachen, und sogar das Licht, das auf ihr lag, wirkte anders und verlieh ihr eine blassere Miene.
    Ich brauchte keine Erklärung für all das zu suchen. Die Sache kam von selbst ins Rollen. Erbarmungslose Räderwerke griffen Zahn um Zahn ineinander, übertrugen ihre Kraft von einem Me chanismus auf den anderen und zermalmten uns dabei.
    »Na gut. Iß dein Eis auf«, sagte ich zu ihr. »Und anschließend geht's los.«
    Ich blies unterdessen ein paar Kerzen aus, denn das Morgengrauen zog allmählich herauf, erhellte den Himmel über unseren Köpfen und tauchte die blauen Disteln, die Sonia in Töpfen zog, um die Terrasse auf originelle Weise zu dekorieren, in silbernes Licht.
    Die Blonde hatte sich gerade an ihnen gestochen, als ich an ihr vorbei ins Haus ging, und Marc lutschte an ihrem Finger und zwinkerte mir dabei zu. Jetzt hatte ich freie Bahn. Ich dämpfte das Licht. Mir klopfte das Herz, aber nicht im Hinblick auf das, was ich mit Odile tun würde.
    Mir klopfte das Herz bei dem Gedanken, daß Sonia mir vielleicht mit den Augen gefolgt war, was ich nicht zu überprüfen wagte, mir aber aus gan zem Herzen erhoffte. Aus allen unaussprechlichen dunklen Kräften meines Herzens, um ehrlich zu sein.
    Odile wusch sich die Hände, und ich nahm sie im Halbdunkel von hinten. Dann, nach ein paar Minuten, von vorn, denn sie bestand darauf, mein Gesicht zu sehen.
    »Darauf bestehe ich«, flüsterte sie. »Was auch immer du darüber denkst. Und nicht nur, weil du es bist. Das habe ich mir zur Gewohnheit gemacht.«
    Ich stimmte ihr zu, während ich es ihr besorgte, doppelt aufgeregt bei dem Gedanken, daß man uns ertappen könne. Was dann auch geschah.
    Aber diesmal ließen Odile und ich uns nicht unterbrechen. Ich erblickte Sonia, die mit der Miene eines Gespenstes, das aus dem Nebel auftaucht, wie angewurzelt auf der Türschwelle stehenblieb und uns unverwandt anstarrte, genau in dem Augenblick, als ich mich aus Odile zurückzog.
    Odile, die damit beschäftigt war, ihre Brüste wieder im Büstenhalter unterzubringen, hatte nichts gemerkt. Auch ich brachte meine Kleidung in Ord nung, ohne Sonia aus den Augen zu lassen, wäh rend Odile mir die Hand auf die Schulter legte und mir in feierlichem Ton erklärte, sie könne es noch gar nicht fassen, daß wir es endlich geschafft hätten.
    In der darauffolgenden Sekunde drehte sich So nia auf dem Absatz um und verschwand aus mei nem Blickfeld.
    Odile holte sich ein weiteres Eis aus dem Kühlschrank.
    »Nicht schlecht, oder?« erkundigte sie sich.
    Ich nickte und lächelte ihr vage zu, da mir die Überraschung noch in den Knochen saß, und ich wunderte mich, daß Sonia mir nicht eine jener Szenen gemacht hatte, wie man sie manchmal sieht, wenn im Verlauf eines Abends gewisse Dinge ge schehen und sich ein Paar in die Haare kriegt, so daß die Fetzen fliegen, und sich die bittersten Wahrheiten an den Kopf wirft, bis alles in einer Flut von Schimpfwörtern und Tränen endet.
    Es war fast fünf Uhr morgens. Ich setzte mich mechanisch auf einen Barhocker, und Odile glitt zwischen meine Beine, um ihr Eis mit mir zu tei len. Sie meinte, daß diese Rolle in der Fernsehserie das Beste sei, was ihr seit langem passiert sei, und daß sie sich bereit fühle, ihr Letztes dafür zu geben. Ich dagegen fr agte mich, ob ich nicht gerade mit dem Kopf gegen eine Mauer gerannt war. Aber es war fast fünf Uhr morgens, und ich war nicht mehr im Besitz all meiner geistigen Kräfte. Ich fühlte mich nicht einmal schuldig. Und in keiner Weise befriedigt.
    Ich ging nach draußen und blieb einen Augen blick auf der Terrasse stehen, während Sonia mich böse anstarrte. Dann wandte sie die Augen ab. Die anderen merkten allmählich, daß der Tag anbrach, und begannen sich zu rühren und ihre Sachen zusammenzusuchen wie Leute, die das Gedächtnis verloren haben.
    Ich hatte keine Ahnung, was geschehen würde, rechnete aber mit einer Explosion in letzter Mi nut e, stellte mir vor, wie Sonia ihrer besten Freun din einen tödlichen Stich mitten ins Herz verset zen würde.
    Doch sie umarmten sich ebenso liebevoll wie immer.
    Die letzten Gesprächsfetzen verstummten auf dem Bürgersteig, während sich die Dunkelheit allmählich auflöste, und noch immer lag dieser durch dringende Gasgeruch in der Luft, von dem nie mand so recht wußte, was er zu bedeuten hatte.
    Es war keine Wolke am Himmel. Ich machte So nia darauf aufmerksam, während die Autos abfuh ren und sich im Konvoi Richtung Stadtmitte ent fernten, aber sie

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